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#2Standpunkt

Wo Digitalrechte und Klimagerechtigkeit zusammenfließen

Magazin #2 | Sommer 2023

Wo Digital­rechte und Klima­gerechtigkeit zusammenfließen

Wir stecken in einer Klimakrise: Die wissenschaftliche Beweislage ist eindeutig. Damit die Gesellschaft gerechter und nachhaltiger wird, müssen wir unsere Lebensweise schnell ändern. Dies wird ohne ein nachhaltiges Internet nicht möglich sein. Aktuell ist das Internet noch die größte von Kohlekraftwerken betriebene Maschinerie der Welt. Der Aufbau einer nachhaltigen Internet-Infrastruktur allein wird aber nicht reichen. Wir müssen uns fragen, inwiefern das Internet mit den Forderungen und Zielen im Einklang steht, die Klimabewegungen und Bewegungen für Umweltgerechtigkeit stellen – und ebenso, an welchen Stellen es diesen Forderungen und Zielen im Weg steht. In diesem Zusammenhang müssen auch die Umweltfolgen von Online-Anwendungen untersucht werden, die auf KI-Systemen beruhen.

Obwohl sie üblicherweise unabhängig voneinander betrachtet werden, haben die Umwelt und das Internet einiges gemein: Beide Phänomene sind weltumspannend und eng mit der Umsetzung und Gefährdung von Menschenrechten verbunden; zudem erfordern beide eine internationale Kooperation, damit die Allgemeinheit Nutzen aus ihnen ziehen kann. Das Internet ist eines der vielen komplexen Probleme in der Gemengelage zwischen Klimagerechtigkeit und Technologie. Es kann sich schädlich auf die Umwelt und das soziale Zusammenleben auswirken, etwa wenn durch den Ressourcenbedarf von Rechenzentren die lokale Bevölkerung unter Wasserknappheit leidet (siehe Seite 26 in diesem Magazin) oder die fossile Industrie mit dreisten Desinformationskampagnen Greenwashing betreiben.

Umwelt und Internet sind weltumspannende Phänomene und eng mit der Umsetzung und Gefährdung von Menschenrechten verbunden.

Trotz solcher Verflechtungen sind philanthropische Finanzierungsstrategien, die sowohl die Umwelt als auch das Internet umfassen, noch rar gesät. Mit der Unterstützung der Ford Foundation, der Mozilla Foundation und des Ariadne-Projekts können wir nun Forschungsergebnisse darüber vorweisen, wie Klimagerechtigkeit und Digitalrechte miteinander zusammenhängen. Unsere Publikationen richten sich zwar in erster Linie an Geldgeber*innen, die Initiativen für Digitalrechte oder entsprechende Technologien fördern möchten. Wir wollen damit aber auch intersektional arbeitende Organisationen und Geldgeber*innen erreichen, die klimarelevante Technologien finanzieren. Solche Technologien berühren nämlich oft Felder, die für die Menschenrechte relevant sind: Migration, Grundbesitz oder auch indigene Rechte.

Die NGO The Engine Room unterstützt zivilgesellschaftliche Organisationen darin, Technologie und Daten strategisch, effektiv und verantwortungsbewusst einzusetzen. In ihrem Bericht At the confluence of digital rights and climate & environmental justice (Das Zusammenfließen von Digitalrechten, Klima- und Umweltgerechtigkeit) gibt sie einen anschaulichen und durchdachten Überblick über die Probleme, die für die Klima- und Umweltgerechtigkeit aus technologischen Innovationen erwachsen. Sie klärt über Desinformationen über die Klimakrise auf und analysiert, wie digitale Infrastrukturen die Umwelt belasten können. Sie erklärt, was Open Data mit der Überwachung der Klimakrise zu tun hat, informiert darüber, dass Umweltaktivist*innen und Verteidiger*innen von Landrechten immer stärker überwacht werden, und erläutert, wie Migrationsgerechtigkeit hergestellt werden kann. Außerdem wird in dem Bericht ausgeführt, bei welchen Themen und Herausforderungen zwischen Bewegungen für Klimaschutz und Bewegungen für Digitalrechten Uneinigkeit herrscht. Abschließend erhalten Förder*innen von Digitalrechten Empfehlungen, wie sie das Themengebiet Klimagerechtigkeit und Technologie in ihre Förderstrategie integrieren können.

Der Bericht „At the confluence of digital rights and climate & environmental ­justice“ kommt zu vier wesentlichen Schlussfolgerungen:

1.

Klima- und Tech-Bewegungen können voneinander lernen und einander unterstützen: Bewegungen, die sich der Klima- und Umweltgerechtigkeit auf der einen Seite und der technologischen Gerechtigkeit auf der anderen Seite verschrieben haben, könnten ihr Verhältnis durch den Ausbau von Kollaborationen verbessern. Dazu sollten sie strategisch günstige Zeitpunkte finden und Gelegenheiten ergreifen, um wechselseitig Lernprozesse anzustoßen und gemeinsam ein tieferes Verständnis von Sachverhalten zu erlangen, die für beide Bewegungen wichtig sind. Es wäre ein gemeinsamer Schritt nach vorne, sich über intersektionale und vertrauensbasierte Finanzierungsansätze beraten zu lassen.

2.

Der Norden sollte dem Süden die Führung überlassen: Organisationen aus der südlichen Hemisphäre, die sich für Digitalrechte einsetzen, arbeiten schon lange daran, die Verbindung zwischen ausbeuterischen Industriepraktiken und digitalen Technologien aufzudecken. Entsprechende Organisationen aus der nördlichen Hemisphäre könnten nicht nur von ihnen lernen, sondern sollten deren Führungsrolle anerkennen. Immer häufiger werden unmittelbar Betroffene durch die Vergabe von Finanzmitteln ermächtigt. Dahinter steht die Überzeugung, dass diejenigen, die ein Problem aus nächster Nähe erleben, am ehesten dazu in der Lage sind, es zu lösen. Wenn wir über Investitionsmöglichkeiten nachdenken, die die Entwicklung klimagerechter, innovativer Technologien begünstigen sollen, könnten wir ein Zeichen setzen und Gruppierungen aus südlichen Ländern einbeziehen, die bewiesen haben, dass sie sowohl über die Erfahrung als auch über die Kreativität verfügen, der Klimakrise mit wirksamen Maßnahmen zu begegnen.

3.

Die CO2-Reduktion reicht nicht aus: Wir sollten dem CO2-Fußabdruck, den das Internet verursacht, deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken, um nachhaltige Finanzierungsmodelle zu entwickeln. Aber auch auf vielen anderen Gebieten ist ein Umdenken dringend nötig: Die Tech-Konzerne müssen endlich etwas gegen die grassierenden Desinformationen über die Klimakrise tun und der Einsatz von hochentwickelten Cyberwaffen gegen Klima- und Umweltaktivist*innen muss aufhören.

4.

Daten verursachen viele Probleme, können aber auch Teil einer Lösung sein: Wir brauchen leicht zugängliche und verlässlichen Daten über klimatische Entwicklungen und Umweltentwicklungen, um Desinformationen einzudämmen, politische Programme voranzutreiben und die öffentliche Meinung zu beeinflussen bzw. das öffentliche Verständnis zu fördern. Tech-Unternehmen halten noch immer wichtige Informationen zurück, etwa über den Wasser- und Energieverbrauch von Rechenzentren und die Wirksamkeit von Initiativen gegen Desinformationen. Gleichzeitig entwickeln Big-Tech-Unternehmen riesige Datenmodelle, die ihr Wachstum beschleunigen sollen, aber für einen gewaltigen Emissionsausstoß sorgen. Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, müssen wir untersuchen, wie Daten, Klima und Umwelt zusammenhängen.

MAYA RICHMAN

… beschäftigt sich seit über zehn Jahren auf internationaler Ebene mit Menschenrechten und Technologie. Sie hat gemeinsam mit Stiftungen, Tech-Unternehmen und Organisationen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, auf der ganzen Welt Retreats, Konferenzen und Workshops zu den Themen Allgemeinwohl, digitale Sicherheit und Technologiestrategien organisiert. Aktuell arbeitet sie für das „Green Screen“-Projekt der Europäischen Grünen zum Thema Klimagerechtigkeit und digitale Rechte. Maya bringt Praktiker*innen und Stiftungen zusammen, damit das Internet gerechter und nachhaltiger wird.

DR. MICHAEL BRENNAN

Senior Program Officer bei der Ford Foundation

Er gehört zum Team „Technology and Society” und betreut ein Förderprogramm, bei dem Fragen im Zusammenhang mit dem offenen Internet aus einer technischen Perspektive untersucht werden. Außerdem hilft Michael dabei, ein technologisches Stipendienprogramm zu betreuen, das die Stiftung entwickelt. Michael hat seinen Doktor in Informatik an der Drexel University erworben.