Magazin #1 | Sommer 2022
Wärme statt Überhitzung: Wie Rechenzentren zu nachhaltigen Heizkörpern werden
Interview mit Dr. Ronny Reinhardt
Das Dresdner Start-up Cloud&Heat hat sich zum Ziel gesetzt, Cloud- Infrastruktur nachhaltiger zu machen. Durch sein Rechenzentren- Kühlungssystem, das auf Direkt-Heißwasserkühlung setzt, kann das Unternehmen laut einer Modellrechnung bei einem Pilotprojekt in Frankfurt jährlich bis zu ca. 710 Tonnen Kohlendioxid einsparen – im Vergleich zu traditionellen, luftgekühlten Rechenzentren. Ronny Reinhardt, Team Lead Business Development bei Cloud&Heat, erklärt, wie sich die Abwärme aus Rechenzentren zum Heizen nutzen und damit eine nachhaltige Cloud betreiben lässt.
Interview mit Dr. Ronny Reinhardt
KI verbraucht Rechenleistung und somit Energie. Die KI-Modelle laufen in der Regel auf GPU-Hardware, also Grafikkarten, die eine sehr hohe Leistungsaufnahme haben. Wenn wir auf Servern rechnen, dann wird energetisch gesehen eigentlich nur elektrische Energie in Wärme umgewandelt. Das hat wiederum zur Folge, dass zusätzlicher Energiebedarf besteht, um die Server zu kühlen. In Frankfurt allein könnte zum Beispiel mit der Wärme, die in den Rechenzentren erzeugt wird, theoretisch die gesamte Stadt geheizt werden. Rechenzentren als Basis für Cloud- und KI- Lösungen bilden eine stark wachsende Industrie, über die wir uns jetzt Gedanken machen müssen, um auch in Zukunft gut aufgestellt zu sein.
Aus unserer Sicht ist das nicht ausreichend. Natürlich ist erneuerbare Energie besser als ein konventioneller Strommix. Aber grundsätzlich sollte unser Ziel sein, so wenig Energie wie möglich zu verbrauchen. Das fängt bei der Software-Entwicklung auf Applikationsebene an und zieht sich durch die verschiedenen Software-Ebenen hindurch bis in die Rechenzentren. Hier ist dann die Frage: Wie lässt sich ein Rechenzentrum möglichst effizient betreiben? Die Kühlung ist ein großer Faktor. Vor zehn Jahren war es nötig, die gleiche Menge an Energie, die der Server braucht, in die Kühlung zu stecken. Heute benötigen wir dafür nur noch um die 20 bis 30 Prozent. Dennoch müssen wir hier kontinuierlich besser werden. Das zweite große Thema ist die Abwärmenutzung. Wie gesagt ist es energetisch gesehen so, dass wir in Rechenzentren im Prinzip elektrische Energie reinstecken und Wärme rausbekommen – auch wenn wir natürlich noch nebenbei etwas berechnen. Diese Abwärme muss in Zukunft sinnvoll genutzt werden. Dafür gibt es viele verschiedene Ansätze wie die Einspeisung in die Wärmeversorgung von Gebäuden oder die Anbindung an Fernwärmenetze.
Unser Fokus ist die sogenannte Direkt-Heißwasserkühlung. Wir leiten die Wärme, die die Bauteile eines Servers produzieren, der Prozessor oder die Grafikkarten, direkt ab, um sie für andere Zwecke zu nutzen – zum Beispiel für eine Gebäudeheizung, wie wir es bei unserem Pilotprojekt im ehemaligen Rechenzentrum der Europäischen Zentralbank in einem Hochhaus in Frankfurt tun. Das ist eine technische Herausforderung, weil wir die Wärme auf einem hohen Temperaturniveau abgreifen müssen, sonst lässt sich damit wenig anfangen. Die Direkt-Heißwasserkühlung ist energieeffizienter als eine Luftkühlung, bei der Luft durch klassische Kälteanlagen gekühlt werden muss. Das verbraucht deutlich mehr Energie, als eine Pumpe zu betreiben, die Wasser durch einen Kreislauf führt und über die Server und die heißen Bauteile fließen lässt. Hier verbrauchen wir also schon weniger Energie. Wir nutzen zudem die Abwärme, indem wir sie in das Gebäude einspeisen – zum Beispiel in eine Heizungsanlage. Auf der Grundlage dieser Technologie setzen wir eine Open-Source-basierte Cloud-Lösung auf, die KI-Kunden nutzen können, um das Training und die Inferenz der KI-Modelle möglichst nachhaltig ausführen zu können.
Gemeinsam mit Vattenfall bauen wir eine Cloud für KI-Unternehmen oder andere Unternehmen auf, die eine hohe Rechenleistung brauchen und denen die Themen Nachhaltigkeit und Energieeffizienz wichtig sind. Wir haben auf dem Gelände eines Biomassekraftwerks unsere Rechenzentrumscontainer mit der Direkt-Heißwasserkühlung aufgestellt. Wir befinden uns also direkt an der Quelle von erneuerbaren Energien. Unsere Anlagen dort sind außerdem so effizient, dass wir für den Betrieb des Rechenzentrums nur ca. sieben Prozent zusätzliche Energie im Vergleich mit der unmittelbaren Serverleistung benötigen. Dort sind wir dann an das Fernwärmenetz angebunden, in das wir die bei der Kühlung erzeugte Wärme einspeisen. Sie wird dann an umliegende Haushalte in der Nähe von Stockholm weitergeleitet.
*Quelle: 1) Cloud&Heat-Kühlungstechnologie im Ver- gleich zu herkömmlichen luftgekühlten Rechenzentren 2) https://www.co2online.de 3) VW Passat BlueMo- tion oder BMW 320d; Standardverbrauch von 1,92 CO2 t /Auto bei 15000km Jahreslaufleistung
Das Unternehmen hat berechnet, dass ein Rechenzentrum mit einer Gesamt- IT-Leistung von 8 kW ca. 11 Tonnen CO2 pro Jahr einsparen kann, wenn es Wasser- statt Luftkühlung einsetzt. Dies entspricht den Emissionen, die sechs Autos pro Jahr ausstoßen. Um diese Emissionen zu kompensieren, wäre ein Hektar Wald (mit 10.000 m2) oder 900 Laubbäume erforderlich.
(Quelle: https://www.cloudandheat.com)
Ein klassisches Rechenzentrum wird auch heutzutage noch per Luftkühlung betrieben und das erschwert die Abwärmenutzung, weil das Temperaturniveau der Luft nicht besonders hoch und der Wärmetransport über größere Strecken schwierig ist. Um den Status quo mit der Luftkühlung zu ändern, müssten sich sehr viele Stakeholder koordiniert gemeinsam vorwärtsbewegen. Die großen Rechenzentren sind meistens sogenannte Colocation-Rechenzentren, in die sich Kunden einmieten. Die Kunden müssten also selbst wassergekühlte Hardware einbringen und die Rechenzentren die Struktur dafür schaffen. Das ist der Grund, warum Cloud&Heat in seiner Ausprägung existiert. Wir haben unser eigenes Rechenzentrum und wir können den Kunden unsere eigene Cloud anbieten. Das größte Hindernis besteht darin, dass sehr viele Stakeholder auf dem Markt in dem Bereich eher konservativ denken. Um umzurüsten, müssen Rechenzentren erst einmal investieren und die Investitionskosten über Betriebskosteneinsparungen oder eine Vergütung für die Abwärme wieder reinholen.
”Es wäre gesellschaftlich durchaus sinnvoll, einen Anreiz dafür zu schaffen, das Auskoppeln von CO2-freier Wärme mit einer Prämie zu honorieren. Dann würden sich die notwendigen Technologien schneller entwickeln.
Zunächst ist es auch eine Frage der Gewohnheit und des Angebots: Es gibt noch immer viel mehr luftgekühlte als wassergekühlte Hardware. Zwar steigt die Zahl der Anbieter und Modelle, aber die Angebotsbreite hat noch nicht das gleiche Niveau. Dann heißt es, die Hersteller müssten sich bewegen. Die Hersteller wiederum sagen, dass die Nachfrage nach wassergekühlten Systemen noch nicht ausreicht, um ihr Angebot umzustellen. Und so geht es teilweise nur in kleinen Schritten voran. Deshalb unterstützen wir an dieser Stelle und haben beispielsweise mit der Thomas-Krenn.AG einen wassergekühlten Server entwickelt, der als eines der ersten Systeme den Blauen Engel für Server erhalten hat.
So ein gesellschaftlich wichtiges Thema bräuchte zudem noch mehr politische Unterstützung. Es gibt Modelle aus anderen Ländern, in denen beispielsweise die aus solchen Prozessen abgeführte Abwärme vergütet wird. Im Prinzip haben wir es mit CO2-freier Wärme zu tun, da das CO2 ohnehin schon im Rechenschritt „verbraucht“ wurde. Wir können diese Wärme also entweder vernichten oder sinnvoll einsetzen. Es wäre gesellschaftlich durchaus sinnvoll, einen Anreiz dafür zu schaffen, das Auskoppeln von CO2-freier Wärme mit einer Prämie zu honorieren. Dann würden sich die notwendigen Technologien schneller entwickeln.
Der dritte Punkt ist die Transparenz Nutzer*innen gegenüber. Das betrifft einmal die Cloud-Nutzung von Unternehmen. Ihnen müsste transparent vermittelt werden, dass bestimmte Berechnungsschritte eine gewisse Menge an CO2 verursachen. Aber auch den Endnutzer*innen fehlt noch jegliches Bewusstsein dafür, dass die Verwendung bestimmter Apps oder Dienste einen CO2-Ausstoß zur Folge hat. In anderen Bereichen hat sich solch ein Bewusstsein für den CO2-Fußabdruck inzwischen entwickelt.
Es ist tatsächlich nicht einfach. Im Cloud-Kontext teilen sich verschiedene Kund*innen einen Server, da ist es nicht ohne weiteres möglich zu sagen, wie hoch der Verbrauch der Kund*in X an dem Server war oder wie viel Energie bei diesem oder jenem Rechenvorgang verbraucht wurde. Aber es gibt auch dafür Lösungen. Wir bringen genau solche Fragen gerade in ein großes europäisches Forschungsprojekt (IPCEI-CIS) ein. Wichtig ist dabei, möglichst schnell zu einer Lösung zu kommen, selbst wenn nicht sofort eine hohe Genauigkeit erreicht werden kann. Auch die CO2-Fußabdrücke, die auf Lebensmitteln stehen, sind nicht auf die Nachkommastelle genau. Darum geht es meist gar nicht. Wir müssen vielmehr ein fundiertes Gefühl dafür haben, dass bestimmte Lebensmittel zum Beispiel zu großen CO2-Emissionen führen und andere nicht. Genauso müssen wir auch bei Cloud-Lösungen einen Schritt vorankommen, um mehr Transparenz zu schaffen und perspektivisch Rechenjobs dahin zu bringen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Ich denke, das wird immer mehr konvergieren. Wir sehen gerade, dass es mit steigenden Strompreisen immer attraktiver wird, die Energieeffizienz zu steigern. In manchen Ländern sind die Stromkosten noch so niedrig, dass niemand sich darüber große Gedanken machen muss. Dort gehen Ökologie und Ökonomie auseinander. Natürlich besteht die Lösung nicht darin, den Strompreis als Innovationsanreiz für energieeffiziente Technologien zu erhöhen. Dann würden die Rechenzentren in andere Länder abwandern. Ökologie und Ökonomie sind aber längst keine Widersprüche mehr.
”Wenn wir also nicht jetzt gegensteuern, werden die Rechenzentren jahrzehntelang so arbeiten, wie sie geplant wurden. In Amsterdam wird schon jetzt kein neues Rechenzentrum mehr ohne Abwärmekonzept gebaut.
Es ist gut, dass das Problem auf der politischen Ebene erkannt wurde, es ist aber auch extrem wichtig, schnell zu handeln, weil jetzt Rechenzentren im Megawatt-Bereich geplant und gebaut werden. Wenn wir also nicht jetzt gegensteuern, werden die Rechenzentren jahrzehntelang so arbeiten, wie sie geplant wurden. In Amsterdam wird schon jetzt kein neues Rechenzentrum mehr ohne Abwärmekonzept gebaut. Es gibt also schon Bewegung. Aber der Staat tut sich weiterhin schwer damit, Kriterien vorzugeben, die auf Nachhaltigkeit abzielen.
Das ist ein guter Ansatz, um ein gewisses Rahmenwerk zu etablieren, an das sich alle halten können. Aber ich glaube, es gibt noch nicht viele Rechenzentren, die die Voraussetzungen dafür erfüllen können. Wir orientieren uns allerdings an solchen ambitionierten Zielen. Darüber hinaus muss aber auch immer genügend Freiraum da sein, damit neue Lösungen, die noch nicht in einem Siegel abgebildet sind, ihre Wirkung entfalten können.
Hintergrund
Subventionen für das Bereitstellen von Abwärme
Um den Wandel zu einer nachhaltigeren Infrastruktur von Rechenzentren zu unterstützen, testen europäische Länder unterschiedliche Fördermodelle. Die Niederländische Unternehmensagentur (Rijksdienst voor Ondernemend Nederland) subventioniert beispielsweise im Auftrag des Niederländischen Ministeriums für Wirtschaft und Klimapolitik die Einführung von Technologien, die Treibhausgasemissionen reduzieren können. Wenn Unternehmen oder Organisationen Abwärme bereitstellen, können sie eine Subventionierung von 0,033 € bis 0,044 € pro Kilowattstunde erhalten. Solche Subventionierungen können wichtige Anreize für Rechenzentren setzen, Abwärme stärker zu nutzen.
DR. RONNY REINHARDT
Team Lead Business Development bei Cloud&Heat Technologies
Er ist aktiv an den europäischen Cloud- und Dateninitiativen Gaia-X und IPCEI-CIS beteiligt. Bei Gaia-X war er Mitglied des technischen Komitees und für IPCEI-CIS koordiniert er das GREEN-CIS-Konsortium mit. Im KI-Verband gehört Ronny Reinhardt zur Arbeitsgruppe Klimawandel. Außerdem arbeitet er in der Initiative Large European AI Models (LEAM) mit. Zuvor forschte und lehrte er zum Technologie- und Innovationsmanagement an der FSU Jena, der University of Utah und der TU Dresden.