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#2Standpunkt

So steuern wir die grüne Digitalisierung

Magazin #2 | Sommer 2023

So steuern wir die grüne Digitalisierung

Verschärft die Digitalisierung eine der schlimmsten Krisen unserer Zeit, die Klimakrise? Oder kann sie dazu beitragen, die Krise zu bewältigen? Das liegt in unserer Hand. Derzeit verursachen Informations- und Kommunikationstechniken geschätzt zwei bis vier Prozent aller Treibhausgase weltweit und damit mindestens so viel wie Deutschland. Weltweit steigt der Energieverbrauch durch Rechenzentren, Datenströme und private Endgeräte so enorm an, dass wir Standards und Bedingungen formulieren müssen, damit in Zukunft positive Auswirkungen der Digitalisierung auf Klima und Umwelt überwiegen. Wir können entscheiden, ob die Digitalisierung eine Umweltbelastung wie die Kohleverbrennung oder ein Innovationsfeld wie die erneuerbaren Energien wird. Wir müssen jetzt die Chance nutzen, mit digitalen Lösungen den Umwelt- und Klimaschutz voranzutreiben.

Klimaneutrale Rechenzentren stehen zu Recht gerade im Brennpunkt der Diskussion, wie sich Digitalisierung nachhaltiger gestalten lässt. Wir sollten unseren Fokus aber nicht nur darauf beschränken. Eine sinnvolle nachhaltige Maßnahme wäre auch, die Menge unnötig generierter Datenströme zu begrenzen. Ein Beispiel: Bisher gibt es kaum nachhaltige Vorgaben für die Software-Entwicklung. Eine ineffiziente Programmierung wird meist durch schnellere Prozessoren oder leistungsfähigere Hardware-Komponenten ausgeglichen. Dabei könnten wir durch „Green Coding“ die Energiebilanz deutlich verbessern. Daten-, Ressourcen- und Energiesparsamkeit müssen neue Gebote bei der Software-Entwicklung werden. Dafür können wir Anreize schaffen, Nachhaltigkeit in universitären Lehrplänen verankern und Fortbildungsangebote ausarbeiten.

Wir brauchen europäische Standards für den Energie- und Ressourcenverbrauch von Soft- und Hardware. Vor allem die großen Plattformen verursachen mit dem maßlosen Sammeln all unserer persönlichen Daten für ihr Werbegeschäft einen immensen Stromverbrauch. Wir Grüne drängen im Europaparlament auf Standards für datensparsamere Geschäftsmodelle und fordern mehr Transparenz für die Endverbraucher*innen: Sie sollten Browser, Suchmaschinen, digitale Marktplätze und soziale Netzwerke in Zukunft im Hinblick auf ihren Strom- und Ressourcenverbrauch vergleichen können. Nur so können sie sich bewusst zum Beispiel für einen nachhaltigen Browser entscheiden. Die großen Digitalplattformen machen gerade bei Internet-Dienstleistungen Profit, die Nutzer*innen nicht mit Geld bezahlen: Das aktuell dominierende, datenhungrige Werbemodell spült den Unternehmen enorme Summen in die Kassen. Gerade dort könnten sich Wettbewerber durch Nachhaltigkeitsmerkmale auszeichnen, etwa transparente Energie­einsparungen durch Datensparsamkeit.

Im Europaparlament werbe ich außerdem dafür, den Green Deal und die Digitalisierung lückenlos miteinander zu verzahnen. Ich fordere für alle aktuell auf EU-Ebene erarbeiteten Gesetze Nachhaltigkeitskriterien ein. Die Bundesregierung muss sich im europäischen Rat für strikte Regeln im Data Act und im AI Act einsetzen. Da es bisher zu wenige aussagekräftige Daten zum Energie- und Ressourcenverbrauch von KI-Systemen gibt, müssen unter anderem im AI Act klare Transparenzregelungen geschaffen werden, um effiziente Technologien zu fördern. Die im AI Act enthaltene Risikodefinition muss um die Risiken erweitert werden, die der Einsatz von KI-Systemen für die Umwelt haben kann. Die Europäische Union muss darüber hinaus einen Rahmen für die Messung der Umweltauswirkungen von KI-Systemen schaffen.

Die Reparatur eines defekten Geräts muss günstiger werden als der Kauf eines neuen.

Außerdem setzen die Grünen sich dafür ein, dass kein europäischer Elektroschrott mehr in ärmeren Weltregionen abgeladen wird, der die dortige Bevölkerung Gesundheits- und Sicherheitsrisiken aussetzt. Die Ausbeutung von Menschen und der Umwelt darf nicht länger die Grundlage der Digitalisierung sein. Wir brauchen bessere Bedingungen beim globalen Abbau von Rohstoffen und Standards für Lieferketten nach Europa. Gleichzeitig muss die Reparatur eines defekten Geräts günstiger werden als der Kauf eines neuen. Das erreichen wir durch eine einfache Reparierbarkeit, standardisierte Bauteile, eine längere Verfügbarkeit von Ersatzteilen, die Bereitstellung von Reparaturanleitungen und eine Verlängerung des Gewährleistungszeitraums. Durch solche verbindlichen Standards könnten wir die Massen von Elektroschrott reduzieren und Kosten für das Entsorgen und Recyclen einsparen. Mit verbindlichen Nachhaltigkeitslabels (die beispielsweise Auskunft über die Reparierbarkeit des Produkts geben) oder digitalen Produktpässen würden wir nachhaltigere Konsumentscheidungen für recyclingfähige Waren ermöglichen.

Wie verhindern wir, dass durch Digitalisierung erzielte Effizienzgewinne von zusätzlichem Konsum aufgefressen werden, zum Beispiel wenn wir durch eine verbesserte Datenübertragung mehr digitale Dienste in Anspruch nehmen als vorher? Um solche „Rebound-Effekte“ zu vermeiden, brauchen wir Steuerungsinstrumente und absolute Grenzen für den Ressourcenverbrauch der digitalen Transformation. Die Fiskalpolitik muss umweltschädliche Subventionen streichen und die Steuerlast stärker von der Arbeit auf den Ressourcenverbrauch verlagern.

Eine konsequente Neuausrichtung der Digitalisierung an Nachhaltigkeit würde auch europäischen Unternehmen neue Marktchancen eröffnen. Bislang dominiert eine Handvoll Großkonzerne die Branche und zementiert ihre Marktmacht mit einem intransparenten Datengeschäft, das unsere Demokratie aushöhlt, die Klimakrise verschärft und den Wettbewerb erstickt. Es lohnt sich also, für einen digitalen Green Deal zu streiten!

ALEXANDRA GEESE

Mitglied des Europäischen Parlaments und die Digitalexpertin der Fraktion Greens/EFA

Sie war an den Verhandlungen zum Digital Services Act beteiligt, mit dem digitale Plattformen und soziale Netzwerke reguliert werden sollen. Seit 2022 ist sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Ihre Schwerpunkte sind die Themen Demokratie im digitalen Zeitalter, nachhaltige Digitalisierung und Geschlechtergerechtigkeit.