Magazin #3 | Herbst 2023
Personalisierung im Online-Marketing:
KI auf Abwegen
Weltweit verwenden neun von zehn Internet-Nutzer*innen die Google-Suchmaschine, Facebook hat drei Milliarden Nutzer*innen, Instagram zwei Milliarden. In Deutschland haben 70 Prozent der Bevölkerung einen Facebook-Account und über 60 Prozent benutzen Instagram. Obwohl die Dienste dieser Plattformen kostenlos sind, sind die Unternehmen dahinter, Meta und Alphabet, zwei der größten Konzerne der Welt, deren Gewinne in die Milliarden gehen. Wie kann das sein?
Die Antwort: Ihre Geschäftsmodelle basieren darauf, die persönlichen Daten ihrer Nutzer*innen dazu zu verwenden, zielgruppenspezifisch Anzeigen zu schalten und damit Werbeeinnahmen zu generieren. So erklärt sich der „kostenlose“ Zugang zu den Diensten und Inhalten. Google generiert zum Beispiel 78 Prozent seines Umsatzes durch Werbung.
Die Nutzer*innen müssen zwar kein Geld bezahlen, aber die durch Anzeigen finanzierten Inhalte und Dienste haben dennoch ihren Preis. Alle Personen, die auf Plattformen aktiv sind, geben persönliche Daten preis und setzen sich Werbeanzeigen aus. Hauptsächlich sehen wir bezahlte Anzeigen in den Trefferlisten von Suchmaschinen, auf Social-Media-Kanälen oder auf Webseiten, wo sie zum Beispiel in Gestalt von Bannern oder Videos allgegenwärtig sind. Ihr immenser finanzieller Wert ergibt sich aber nicht allein daraus, dass sie online erscheinen. Werbetreibende geben erhebliche Summen dafür aus, dass die Werbeanzeigen genau dort veröffentlicht werden, wo sie die meisten Klicks, Aufrufe und Käufe versprechen. Diese Strategie ist unter dem Namen „personalisierte Werbung“ bekannt. Die digitale Zielgruppenansprache hat den Markt für Online-Anzeigen explodieren lassen. In Deutschland hat sich das Marktvolumen in den letzten sechs Jahren verdoppelt. Außerdem macht personalisiertes Online-Marketing durch Technologien Künstlicher Intelligenz (KI) große Fortschritte. Marketing ist eines der wichtigsten Einsatzfelder für KI-Anwendungen.
Wie funktionieren personalisierte Online-Anzeigen?
Personalisierte Anzeigen legen lange Wege zurück: Werbetreibende entwerfen sie, dann durchlaufen sie bei sogenannten Intermediären im AdTech-Sektor verschiedene Zwischenstationen, bevor sie schließlich zielgerichtet bestimmten Internetnutzer*innen angezeigt werden. Die Grundlage für diesen Personalisierungsprozess bilden die persönlichen Daten, die üblicherweise von den Intermediären analysiert und verwaltet werden.
All diese Schritte basieren immer stärker auf Techniken Maschinellen Lernens (ML), die üblicherweise die Grundlage für KI-Systeme bilden. Um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass Anzeigen zu Käufen führen, sind Marketing-Strategien meistens so ausgerichtet, dass bestimmte Online-Nutzer*innen so genau wie möglich als Zielgruppen definiert und angesteuert werden. Die Funktion der Intermediäre ist es, die persönlichen Daten von Nutzer*innen zu beschaffen und sie aufzubereiten. Zu solchen Daten gehören: Online- und zunehmend auch Offline-Verhaltensmuster, Geolokalisierungsdaten und Bewegungsverläufe, Geräte- und Nutzer*innen-Identifikatoren (zum Beispiel Mobile-IDs oder Advertising-IDs) oder auch Informationen aus Profilen von Nutzer*innen, die sensible soziodemographische Daten wie Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, politische oder religiöse Überzeugungen, Bildungsniveau, Beschäftigungsverhältnis oder Einkommen enthalten können. Selbst wenn diese Daten nicht unmittelbar verfügbar sind, können ML-Modelle sie mit erstaunlich großer Genauigkeit ableiten. Um die KI-Systeme mit Daten zu füttern, werden häufig Cookies eingesetzt – kleine Dateien, in denen die Besuche bestimmter Websites und Hintergrunddaten verzeichnet sind.
Intermediäre verwenden diese persönlichen Daten dann zusammen mit digitalen Identifikatoren, um Nutzungsprofile zu erstellen. Mit einer als Fingerprinting bezeichneten Verfahrensweise des Online-Trackings erfassen sie Identifikatoren, indem sie Nutzer*innen-Attribute mit Daten kombinieren, die in der Regel bei Netzwerkanfragen bereitgestellt werden (zum Beispiel die IP-Adresse, den Webbrowser-Typ, das Betriebssystem und Hardware-Spezifikationen). Anschließend komprimieren sie die Daten in einem „digitalen Fingerabdruck“. Weitere Datenquellen sind Zahlungsverläufe oder auch plattformübergreifende Verifizierungsdaten, etwa eine bestimmte Telefonnummer. Relevante persönliche Daten werden auch von Dritten eingeholt. Die digitalen Fingerabdrücke werden in verschiedene Arten von Gruppen segmentiert, so dass die Werbeanzeigen zielgerichtet individuell konfigurierten Profilen von Nutzer*innen zugeordnet werden können – denjenigen, bei denen die größte Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Kauf folgt. Die Profile werden in ML-Modelle eingespeist, die daraufhin so trainiert werden, dass sie den Erfolg einer bestimmten Anzeige möglichst genau „vorhersagen“ (also abschätzen) können. Diese Vorhersagen bilden die Grundlage für Echtzeit-Auktionen, bei denen die einzelnen Internet-Werbeflächen an die Höchstbietenden verkauft werden. Sie finden unsichtbar im Hintergrund statt, während Nutzer*innen auf eine Website zugreifen, eine E-Mail öffnen oder auch eine mobile App.
Werbetreibende sind in der Praxis nicht in erster Linie Unternehmen, die ihre Produkte vermarkten, sondern eigens dafür eingerichtete Medienagenturen, die den Unternehmen zusätzlich Dienstleistungen wie die Anzeigenverifizierung und -evaluation anbieten. Intermediäre verknüpfen Plattformen von Werbetreibenden auf der Seite der Nachfrage mit Plattformen von Publishern, also den Veröffentlichungsinstanzen, auf der Angebotsseite. Auf diese Art verteilen sie die genutzten Werbeflächen so, wie die Endnutzer*innen schließlich die Anzeigen sehen. Die Flächen tauchen in Feeds, Apps, Suchmaschinen, Websites oder anderen Web-Oberflächen auf. Sie werden ständig beobachtet, um die Anzeigenleistung zu maximieren. Verschiedene Faktoren können den Erfolg bestimmter Anzeigen positiv beeinflussen: die Variation des Anzeigeninhalts, die Frequenz, in der sie geschaltet werden, oder auch ihre Größe und Form. Der Kauf und Verkauf von Werbeflächen wird über Ad-Exchange-Plattformen abgewickelt. Auf Datenmanagement-Plattformen können Daten gespeichert, angereichert, analysiert und segmentiert werden. Außerdem dienen sie der Erstellung von Nutzungsprofilen.
Die Werbetreibenden beauftragen Medienagenturen damit, den Erfolg geschalteter Anzeigen anhand verschiedener Kriterien zu messen und vorherzusagen: Interaktionsraten geben Aufschluss darüber, wie viele Menschen auf eine bestimmte Anzeige klicken; Ad Impressions geben an, wie oft eine Anzeige aufgerufen wird; durch die Viewability-Kennzahl wird deutlich, wie gut eine Anzeige tatsächlich gesehen wird; die Reichweite beschreibt die Anzahl der einzelnen Nutzer*innen, die die Anzeige sehen; die Frequenz beschreibt, wie oft einzelne Nutzer*innen eine bestimmte Anzeige sehen; und durch die Konversionsrate erfahren wir, in welchem Ausmaß eine Anzeige Menschen dazu bringt, auf eine bestimmte Art zu handeln, also zum Beispiel ein Produkt zu kaufen. Die dabei eingesetzten ML-Technologien dienen nicht nur dazu, gezielt Nutzer*innen anzusprechen. Sie evaluieren die Performance und passen daraufhin Werbestrategien an. KI-Systeme sind also im gesamten Lebenszyklus personalisierter Anzeigen sehr wichtig: bei der Datenerfassung, der Datenanalyse, beim Targeting von Nutzer*innen und bei der kontinuierlichen Anpassung der gesamten Prozesse.
Akteure:
Werbetreibende wollen durch Online- Werbung die Sichtbarkeit von Produkten erhöhen und den Absatz steigern. Sie entwickeln Anzeigen und kaufen Werbeflächen.
Intermediäre befinden sich an der Schnittstelle zwischen Werbetreibenden und Publishern. Sie bilden ein komplexes Netzwerk von Akteuren, die technische Dienste anbieten.
Publisher stellen Werbeflächen im Internet bereit, die sich am besten zur (profitablen) Platzierung bestimmter Anzeigen eignen, um damit bestimmte Nutzer*innen zu erreichen. Bei ihnen kann es sich um Suchmaschinen oder Social-Media-, Medien- und Videoplattformen handeln. Sie stellen in Form von Bannern, Videoclips oder Suchergebnissen Werbeflächen bereit. Prominente Beispiele für Publisher sind Meta und Alphabet, ebenso App-Anbieter oder Website-Betreiber wie Online-Nachrichtenagenturen.
Nutzer*innen interagieren mit ihren Geräten, den Betriebssystemen, der Anwendungssoftware oder Online-Diensten. Durch diese Interaktionen wird ihnen Werbung angezeigt. Gleichzeitig geben sie dadurch direkt oder indirekt persönliche Daten preis, die zur weiteren Personalisierung der angezeigten Werbung dienen.
Die Gefahren der Marktkonzentration
Der Online-Werbemarkt wird von zwei Unternehmen beherrscht: Alphabet beziehungsweise seine Tochterunternehmen Google und YouTube sowie Meta mit den Tochterunternehmen Facebook und Instagram. Sie sind nicht nur die wichtigsten Publisher für Anzeigen, sondern auch die Auftraggeber für einige der größten Intermediäre, die persönliche Daten nutzen, um die Zielgruppen für Werbung besser erreichen zu können. Damit liegen die drei wichtigsten Bereiche der Branche – Werbung, Vermittlung und Veröffentlichung – in der Hand weniger Konzerne, die den gesamten Lebenszyklus einer Anzeige bestimmen.
Alphabet und Meta stellen neben einem Großteil der Werbeflächen auch die technische Infrastruktur bereit. Sie sind zudem im Besitz riesiger Mengen von Nutzungsdaten. Das Sammeln dieser Daten auf ihren Plattformen und über sie hinaus verschafft den Unternehmen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil, durch den sämtlich Marktkonkurrenten nahezu abgehängt sind. Diese Dominanz auf dem Online-Werbemarkt wird oft mit dem Begriff „Duopol“ beschrieben, ein Monopol, das sich zwei Unternehmen teilen. Viele ihrer Dienste (Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Navigations- und Office-Apps, Cloud-Speicher, Übersetzungstools, Unterhaltungsplattformen, Entwicklungstools, Newsfeeds usw.) sind unverzichtbar geworden. Es mangelt an ähnlich praktischen Alternativen. Die Nutzer*innen haben deshalb oft keine andere Wahl, als diesen Diensten treu zu bleiben. Diese Marktkonzentration ist für die Digitalwirtschaft nicht neu, die insgesamt von den fünf als GAFAM (Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft) bekannten Unternehmen dominiert wird. Sie alle gehörten 2022 zu den acht Unternehmen mit dem weltweit höchsten Marktwert. Im Werbesektor ist diese geballte Macht besonders extrem spürbar, da der Wert und der Erfolg von Werbung stark von der Menge und Genauigkeit von Daten abhängt.
Da es auf dem Marketing-Markt an Wettbewerb fehlt, beherrschen Alphabet und Meta die Preise, Praktiken und technischen Standards. Werbetreibende sind auf die technologische Infrastruktur angewiesen, die beispielsweise Google für Cloud-Systeme und KI-Algorithmen anbietet. Die beiden dominanten Marktakteure lassen auch Nutzer*innen kaum Entscheidungsfreiräume, ob und an wen sie ihre persönlichen Daten weitergeben möchten. Dieses Ungleichgewicht wird durch das Design der Plattformen bewusst verstärkt. Regierungen fällt es nach wie vor schwer, diese Unternehmen zu regulieren und technologische Entwicklungen angemessen einzuordnen. Der derzeitige Werbemarkt bleibt deshalb weitestgehend auf die Konzernbedürfnisse zugeschnitten.
Die Menschen und der Planet zahlen den Preis
Diese Situation ist auch eine Gefahr für uns alle und die Gesellschaft. Die umfassende Sammlung und Analyse persönlicher Daten untergräbt die Privatsphäre und den Datenschutz und führt zu einer Überwachungsökonomie. Die ungebremste Macht der Konzerne und ihr Informationsmonopol beeinflussen auch politische Prozesse. Der Skandal um Cambridge Analytica hat gezeigt, in welch einem Ausmaß politisches Mikrotargeting und die Verbreitung von Desinformationen die öffentliche Meinungsbildung und damit die Demokratie insgesamt gefährden.
Hinzu kommt, dass die beschriebenen Marketing-Prozesse eine enorme Menge an Ressourcen verschlingen. Etwa 15 Prozent der Netzwerkaktivitäten, die durch das Laden einer Nachrichten-Website ausgelöst werden, sind dazu da, uns Werbung anzuzeigen. Ad-Exchange-Server sind ununterbrochen in Betrieb, um über das gesamte kommerzielle Web hinweg Werbung zu verwalten. Die Server verbrauchen Energie, verursachen Kohlenstoffdioxid-Emissionen und führen letztlich dazu, dass Menschen weitere ressourcenintensive Konsumgüter und Dienstleistungen kaufen.
Um die Online-Marketingbranche nachhaltiger zu machen, wird es wahrscheinlich nicht reichen, den Markt nur für neue private Akteure zu öffnen. Ein echter Wettbewerb allein würde das Problem nicht aus der Welt schaffen. Vielmehr müssen sich die Infrastruktur der Online-Wirtschaft und die Kommunikationsnetze vom Prinzip der personalisierten Werbung lösen. Erste Schritte dazu könnten in der Regulierung von Tracking und der massenhaften Sammlung von Daten bestehen. Wir müssen nach Alternativen suchen, damit die öffentlichen digitalen Infrastrukturen nicht länger auf der Ausbeutung persönlicher Daten beruhen.
Vollständige Studie:
Frick, V., Marken, G., Schmelzle, F. & Meyer, A. (2023). The (Un-)Sustainability of Artificial Intelligence in Online Marketing. A Case Study on the Environmental, Social and Economic Impacts of Personalised Advertising. IÖW Schriftenreihe 228/2023. ISBN 978-3-940920-33-1.
Mehr dazu
Weiterführende Literatur
Armitage et al (2023) Study on the impact of recent developments in digital advertising on privacy, publishers and advertisers.
VIVIAN FRICK, GESA MARKEN UND FRIEDER SCHMELZLE
Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW).
Sie erforschen die Rolle der Digitalisierung in der sozial-ökologischen Transformation.