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#1InterviewRessourcenverbrauch

Monströse Kekse: Cookies als Instrument einer übergriffigen Technologie

Magazin #1 | Sommer 2022

Monströse Kekse:
Cookies als Instrument
einer übergriffigen
Technologie

Interview mit Joana Moll

Carbolytics ist ein Projekt an der Schnittstelle von Kunst und Forschung. Die Künstlerin Joana Moll hat dafür mit dem Hochleistungsrechenzentrum in Barcelona (Barcelona Supercomputing Center) zusammengearbeitet. Carbolytics soll ein größeres Bewusstsein dafür schaffen, wie groß die ökologischen Folgen einer allgegenwärtigen Überwachung durch Werbetechnologie (AdTech) sind.

Interview mit Joana Moll

Wie kam es dazu, dass Sie die CO2-Bilanz von AdTech untersuchen wollten?

AdTech ist das grundlegende Geschäftsmodell des Internets, aber niemand kann die Kohlenstoffemissionen beziffern, die damit verbunden sind. Die Unternehmen, die dafür verantwortlich sind, müssen dafür zur Verantwortung gezogen werden. Dabei stellt die AdTech-Industrie nur die Spitze des Eisbergs dar. Hinter Cookies und Browsern versteckt sich ein gewaltiges Ökosystem. Da wir nicht sagen können, wie die Daten der Nutzer*innen innerhalb dieses Geschäftsmodells ausgewertet werden, liegt auch der dazu notwendige Energieverbrauch im Dunklen.


Was haben Sie bei dem Projekt herausgefunden?

In den meisten Fällen war es sehr schwierig herauszufinden, welche Organisationen hinter den Cookies stecken. Die am weitesten verbreiteten Cookies wie die von Google Analytics sind außerdem nicht diejenigen, die am schädlichsten für die Umwelt sind. Was allein die Cookies angeht, ist die umweltschädlichste Website Netflix, allerdings setzt Netflix nicht viele Cookies ein.

Die meisten unserer Trans- und Interaktionen werden quantifiziert und kommerzialisiert. Durch AdTech wird alles zu Geld gemacht, was wir online tun: Alle Mausbewegungen, alle getippten Wörter, alle Klicks sind Umsatzquellen.

Wie kann eine derart emissionsintensive Technologie wie AdTech so ein blinder Fleck sein?

Der ganze Prozess ist völlig unsichtbar. Alles geschieht so schnell und wir sehen nur unsere Geräte, nicht was durch die Geräte in Gang gesetzt wird. Wenn wir alle diese Vorgänge kennen würden, könnte das ganze System wahrscheinlich nicht funktionieren. Das Problem ist, dass wir im Prinzip keine Ahnung haben, wie alles abläuft. Ich habe in Slowenien eine Ausstellung mit einer Installation gehabt. Die Besucher*innen gingen dort in einen immersiven Raum hinein, wo sie von vier Projektoren angestrahlt wurden. Sie hatten diese ganzen Cookie-Logos auf ihren Gesichtern. Dieses Bild hat sich mir eingeprägt, weil es genau das illustriert, was gerade tatsächlich passiert. Viele konnten es nicht glauben, dass niemand weiß, was wir dagegen tun können, und dass uns als Nutzer*innen die Hände gebunden sind. Das Problem liegt im System. Wir sind einer bizarren Menge an Cookies ausgesetzt und gleichzeitig wissen wir kaum etwas darüber, wie sie funktionieren.

Sie sehen AdTech als Phänomen des kognitiven Kapitalismus. Was bedeutet das?

Kognitiver Kapitalismus ist das ökonomische System, in dem wir uns alle bewegen. In diesem System wird Vermögen nicht nur durch materielle Güter generiert, sondern durch ein Zusammenspiel von unbestimmbaren Handlungen, Erfahrungen, Kommunikationsmustern und Wahrnehmungen. Die meisten unserer Trans- und Interaktionen werden quantifiziert und kommerzialisiert. Durch AdTech wird alles zu Geld gemacht, was wir online tun: Alle Mausbewegungen, alle getippten Wörter, alle Klicks sind Umsatzquellen.

Haben Sie etwas herausgefunden, was Sie nicht erwartet hätten?

Die Cookies, mit denen wir der Verarbeitung unserer Daten zustimmen, waren in unserer Analyse die am drittstärksten vertretene Gruppe von Cookies. Es ist ziemlich pervers, dass Datenschutz eine zusätzliche Problemebene mitbringt. Deshalb meine ich, dass Datenschutz und Nachhaltigkeit immer zusammen gedacht werden müssen. Sie sind zwei Aspekte desselben Problems: der mangelnden Rechenschaftspflicht von Unternehmen, die unsere Umwelt verschmutzen.

Google hat angekündigt, dass es 2030 CO2-positiv sein will. Halten Sie das für realistisch?

Es ist allein schon problematisch, dass sie so etwas überhaupt legal behaupten dürfen, es ist nämlich schlicht unmöglich. Google ist ja nicht nur irgendein riesiges Rechenzentrum. Google steckt in all unseren Geräten. Wie wollen sie diesen ganzen Energieverbrauch überhaupt quantifizieren? Wie soll diese Technologie allein klimaneutral werden? Sie saugen ständig Daten von unseren Geräten ab, wie soll das ohne Energieaufwand möglich sein? Als wir die Kohlenstoffemissionen von Cookies berechnen wollten, ist uns aufgefallen, dass es für Daten im Allgemeinen kaum unabhängige Einschätzungen und Gutachten über den damit verbundenen Energieverbrauch gibt. Ein weiteres Problem ist, dass sich die Forschung überhaupt nicht einig darin ist, wie sich der Verbrauch und die Emissionen quantifizieren ließen.

Was nehmen Sie aus dem Projekt mit?

Nachdem es abgeschlossen war, ist mir etwas Interessantes aufgefallen. Ich hätte mit einem deutlich größeren Medieninteresse gerechnet. Immerhin geht es um das wichtigste Geschäftsmodell des Internets. Zwar habe ich mit einigen großen Zeitungen gesprochen, aber keine von ihnen brachte dazu einen Beitrag. Das war sehr frustrierend für mich. Dann bemerkte ich, dass die New York Times und ähnliche Unternehmen Cookies einsetzen, die in unserem Ranking in den Top 20 auftauchen. Inzwischen bin ich mir ziemlich sicher, dass die Medien die Geschichte nicht aufgegriffen haben, weil sie ihr eigenes Geschäftsmodell betrifft. Es ist sehr schwer, die Öffentlichkeit auf etwas aufmerksam zu machen, wenn die Medien nicht mitspielen, weil sie sich damit selbst entblößen würden.

Hintergrund

Über Carbolytics

Auszug aus der Projektbeschreibung von Fernando Cucchietti, Joana Moll, Marta Esteban, Patricio Reyes, Carlos García Calatrava

In den letzten zehn Jahren ist das Tracking des Online-Verhaltens von Nutzer*innen zu einem gewaltigen Geschäftsmodell geworden. Beim Online-Tracking werden Daten gesammelt, die Nutzer*innern online hinterlassen, beim Lesen der Nachrichten, bei Online-Einkäufen, bei ihren Social- Media-Interaktionen oder wenn sie Suchanfragen abschicken. Die Unternehmen, die Online-Tracking betreiben, befassen sich bislang nicht mit den Umweltfolgen ihres Trackings. Das massive Sammeln von Daten bildet oft die Grundlage auf der KI-Systeme erst angewandt werden können.

AdTech analysiert, verwaltet und distribuiert Online-Werbung. Es ist ein Geschäftsmodell, auf dem das gesamte Ökosystem der Datenwirtschaft beruht. 2021 erreichten die globalen Werbeausgaben über alle Plattformen hinweg 763,2 Milliarden US-Dollar. 2022 soll dieser Wert noch um zehn Prozent übertroffen werden. 2020 wurden 97,9 Prozent des globalen Umsatzes von Facebook und 80 Prozent des globalen Umsatzes von Google durch Werbeeinnahmen erzielt. Den chinesischen Markt ausgenommen, haben diese Unternehmen zusammen mit Amazon im Jahr 2022 einen Marktanteil von 80 bis 90 Prozent. Trotz der außerordentlichen Bedeutung von AdTech für die globale Wirtschaft sind die Methoden und Prozesse, die diesem Geschäftsmodell zugrunde liegen, weitestgehend unbekannt. Es ist daher sehr schwierig, diesen Bereich zu kontrollieren und zu regulieren. Das Datensammeln durch AdTech ist häufig die Voraussetzung für KI- Anwendungen wie Empfehlungssysteme. Um die Nachhaltigkeit von KI zu bewerten, ist AdTech deshalb ein wichtiger Einflussfaktor.

Daten werden normalerweise durch Cookies und andere Tracking- Technologien gesammelt, die in Geräte, Websites, Apps und sonstige interaktive und audiovisuelle digitale Inhalte integriert sind. Obwohl Cookies auf den Geräten von Nutzer*innen erstellt und gespeichert werden, bleiben diese und andere Tracking- Technologien für Nutzer*innen intransparent und manchmal sogar unsichtbar. Auch wenn sie fast unbemerkbar sind, setzen sie weltweit unzählige algorithmische Prozesse in Gang, die auf der Ausbeutung des Online-Verhaltens der Nutzer*innen beruhen und einen direkten Einfluss darauf haben, wie viel Energie die Endgeräte der Nutzer*innen verbrauchen.

Bei der das Carbolytics-Projekt begleitenden Forschung wurden die CO2-Emissionen aller Cookies ermittelt, die zu den eine Millionen meistbesuchten Websites gehörten. Bei der Untersuchung konnten diesen Websites insgesamt mehr als 21 Millionen Cookies zugeordnet werden – bei einem einzigen Besuch. Diese Cookies konnten mehr als 1.200 unterschiedlichen Unternehmen zugeordnet werden. Im Durchschnitt entspricht dies 197 Billionen Cookies pro Monat, was wiederum etwa 11.442 Tonnen an CO2-Emissionen monatlich bedeutet. Diese Zahlen spiegeln nur den Browser-basierten Cookie-Traffic wider und schließen keine anderen verhaltensbasierten Werbetools wie App-Aktivitätsverfolgung oder Profilbildungsalgorithmen ein.

JOANA MOLL

Die Künstlerin hinter Carbolytics