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#3Fallstudie

Künstliche Intelligenz und Marketing: Nachhaltig bedenklich?

Magazin #3 | Herbst 2023

Künstliche Intelligenz und Marketing: Nachhaltig bedenklich?

Was Unternehmen und die Zivilgesellschaft darüber denken

Die Werbeindustrie verspricht sich viel davon, KI im Online-Marketing einzusetzen. Auch ihrer Kundschaft verspricht sie dadurch Vorteile. Werbetreibenden geht es aber vor allem darum, Umsätze zu erhöhen. Solange die großen Unternehmen unreguliert KI für Tracking, Personalisierung und maßgeschneiderte Werbeanzeigen verwenden, bleibt KI ein Nachhaltigkeitsrisiko. Die ökologische und soziale Belastung steigt, und kleinere Unternehmen und Endnutzer*innen finden kaum nachhaltige Handlungsspielräume.

KI-gestützte personalisierte Online-Werbung breitet sich rasant aus. Unternehmen versprechen sich davon, ihre Werbung gezielt an jene Menschen richten zu können, die ihre Produkte mit der höchsten Wahrscheinlichkeit kaufen werden. Das bringt einen großen Vorteil gegenüber Anzeigen in Printprodukten, auf Plakaten oder im Fernsehen, mit denen nicht so zielgerichtet potenzielle Käufer*innen erreicht werden können. Unternehmensberatungen prognostizieren, dass ein effizienter Einsatz von KI im Marketing deutliche Umsatzsteigerungen für Unternehmen herbeiführen werden. Eine Personalisierung soll auch ganz im Sinne der Verbraucher*innen sein, da ihnen vor allem die Angebote angezeigt werden, die sie wirklich interessieren. Für ein personalisiertes Marketing wird sogar mit einem ökologischen Argument geworben: Es helfe dabei, weniger Ressourcen und Energie für irrelevante Werbung zu verschwenden, da Fehlkäufe und dadurch anfallende Retouren seltener vorkämen.

Was halten Unternehmen und die Zivilgesellschaft von diesen Versprechen? Wir haben dazu Expert*innen aus werbetreibenden Unternehmen und Marketing-Agenturen sowie aus zivilgesellschaftlich-netzpolitischen Organisationen interviewt. Darüber hinaus haben wir im Sommer 2023 zwei repräsentative Online-Befragungen durchgeführt und 2.000 Menschen aus deutschen Privathaushalten und Entscheidungsträger*innen aus rund 500 Unternehmen dazu befragt, welche Chancen und Risiken sie beim Einsatz von KI-gestützter personalisierter Werbung sehen.

Wenige finden personal­isierte Online-Werbung hilfreich

Die vorgebrachten Vorteile von KI im Marketing beruhen auf der Annahme, dass alle Personen, die online sind, auch tatsächlich etwas kaufen möchten. Aus Unternehmenssicht lassen sich prinzipiell alle Nutzer*innen in Käufer*innen umwandeln. Dieser Prozess wird im Marketing als „conversion“ („Umwandlung“) bezeichnet. Den Unternehmen geht es darum, ihre potenzielle Kundschaft zum Handeln zu bewegen, indem sie auf sich und ihre Produkte aufmerksam machen und vom Kauf überzeugen. Aus dieser Unternehmensperspektive spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob die Nutzer*innen mit der Verwendung ihrer personenbezogenen Daten und dem Erhalt von Werbeanzeigen einverstanden sind. Um sich davor zu schützen, können sie zwar auf Adblocker zurückgreifen und die Cookie-Einstellungen entsprechend anpassen. Allerdings sind sie oft nicht in der Lage, autonom darüber zu entscheiden, welchen Zugriff auf ihre persönlichen Daten sie erlauben möchten.

Unsere Umfrage zeigte, dass nur zwischen 13 und 22 Prozent der Nutzer*innen personalisierte Werbung als „interessant“, „hilfreich“, „willkommen“ und „vertrauenswürdig“ bewerten. Hingegen finden sie zwischen 44 und 55 Prozent der Befragten „uninteressant“, „störend“, „unerwünscht“ und „manipulativ“ (Abbildung 1). Nur eine Minderheit der Verbraucher*innen beurteilt personalisierte Werbung also positiv.

Etwa die Hälfte der Befragten schützt sich gegen das Sammeln personenbezogener Daten (Abbildung 2). Rund 50 Prozent der Befragten nutzen Adblocker und vermeiden (zumindest teilweise) intensiv datensammelnde digitale Dienste. Weniger als die Hälfte der Befragten benutzt spezielle datensparsame Suchmaschinen und Browser. Die restlichen Befragten geben als Gründe dafür, dies nicht zu tun, mehrheitlich an, dass sie diese Möglichkeiten nicht kennen, nicht wissen, wie man sie umsetzt, es ihnen zu aufwendig sei oder dass es nichts bringe. Etwa der Hälfte aller Befragten gelingt es also laut eigener Aussage nicht, eigenständig geeignete Maßnahmen gegen Tracking und Datensammlung zu ergreifen, obwohl viele sich diesen Schutz wünschen. Schutzmöglichkeiten müssen daher zumindest zugänglicher, effektiver und sichtbarer gestaltet werden – oder Unternehmen könnten auf das Sammeln personenbezogener Daten verzichten (siehe Abbildung 2).

Datenschutz ist Unternehmen wichtig, doch sie sehen wenig Spielraum dafür

Auf der anderen Seite beschreiben auch die interviewten Unternehmensvertreter*innen einen geringen Handlungsspielraum, wenn sie die von den großen Playern bereitgestellten personalisierten Anzeigen einsetzen wollen: „Bestimmte Dinge kann man, wenn man am Markt teilnehmen will, gar nicht ausschließen. […] Zum Beispiel ist eine unserer wichtigsten [Einnahme-]Quellen Google als Anzeigenmedium. Da haben wir keinen Einfluss. Da müssen wir einfach mit dem Markt [gehen], sonst wären wir gar nicht vorhanden oder nicht in der Größe, wenn wir dort nicht mitmachen würden”, erklärt der Marketing-Leiter eines Online-Versandhandels.

Der Energie­verbrauch der Tech-Branche wird zwar vielerorts kritisch betrachtet, im Alltags­geschäft des Online-Marketings spielen solche Bedenken aber nur eine untergeordnete Rolle.

Die von uns interviewten Unternehmen setzen sich in erster Linie mit Datenschutzthemen auseinander, da rechtliche Vorgaben wie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sie dazu verpflichten und sie Verstöße dagegen vermeiden möchten. Nicht nur rund 80 Prozent der in der Studie befragten Haushalte, sondern auch ebenso viele befragte Unternehmen sind der Ansicht, dass der Einsatz von KI bei der Personalisierung von Online-Werbung mindestens teilweise Nachteile für Verbraucher*innen im Bereich Datenschutz und Privatsphäre mit sich bringe (siehe Abbildung 3).

Insbesondere die für die Studie interviewten Unternehmen mit einer starken Nachhaltigkeitsorientierung beabsichtigen auch, verantwortungsvoll mit Daten ihrer Kund*innen umzugehen. So führte ein solches Unternehmen im Interview an, dass es nur die für Marketingzwecke relevanten Daten erhebe und Werbeanzeigen nur sparsam und gezielt schalte. Solche Strategien sind jedoch nicht weit verbreitet: „Ich würde eher die Vorteile [von Personalisierung] sehen oder die Möglichkeiten, die dadurch entstehen. Für die User*innen sehe ich jetzt erstmal keine große Gefahr”, so der Marketingleiter eines kleineren Online-Marktplatzes (siehe Abbildung 3).

Ökologische Auswirkungen: Der blinde Fleck von KI im Marketing?

Der Energieverbrauch der Tech-Branche wird zwar vielerorts kritisch betrachtet, im Alltagsgeschäft des Online-Marketings spielen solche Bedenken aber nur eine untergeordnete Rolle. Diese Entwicklung wird dadurch begünstigt, dass sich Technologien, die auf KI und Erkenntnissen der Datenwissenschaft beruhen, immer einfacher und günstiger anwenden lassen. Das führt wiederum dazu, dass der Energieverbrauch der Branche weiter steigt: „Die Technologie zur Datenverarbeitung wird immer billiger. Dadurch wird tendenziell weniger auf die Leistungsfähigkeit bestimmter Algorithmen geachtet. Bei Bedarf lässt sich bei Cloud-Anbietern ganz leicht die Rechenleistung hochskalieren. Wenn Sie also wollen, können Sie sich sehr einfach einen sehr energieintensiven Algorithmus beschaffen, der leistungsfähig ist”, erklärte ein Datenwissenschaftler einer Marketing-Agentur. Effektivität, Schnelligkeit und Kosten seien wichtiger als ökologische Effizienz, führte er weiter aus: „Es ist kein Geheimnis, wie energieintensiv Maschinelles Lernen ist. Aber ich glaube kaum, dass versucht wird, der Umwelt zuliebe die Energie-Effizienz zu erhöhen – nicht einmal von umweltbewussten Menschen.“

Größere und kleinere Anbieter bieten zwar an, den CO2-Abdruck zu messen. Unser Interviewpartner zweifelt aber an der Durchschlagskraft solcher Maßnahmen: „Google stellt Dienste bereit, mit denen während einer Rechenleistung der CO2-Ausstoß berechnet werden kann. […] Manche Datenquellen sind mit einem grünen Blatt versehen, um damit zu kennzeichnen, dass dort erneuerbare Energien eingesetzt werden. Transparent ist das Ganze allerdings nicht, außerdem besteht immer die Gefahr, dass damit Greenwashing betrieben wird.“ Es sei zudem schwierig, die dominierenden Marktakteure wie Google, Microsoft oder Amazon dazu anzutreiben, dass sie transparenter und nachhaltiger werden. Dadurch werde der Handlungsspielraum werbetreibender Unternehmen begrenzt, die sich eine ökologischere Ausrichtung wünschen.

Es werden Bedürfnisse gestillt, von denen wir vor 20 Jahren gar nicht wussten, dass wir sie haben können.

Weitere umweltschädliche Effekte können entstehen, wenn durch Werbung mehr Produkte verkauft und dadurch auch mehr Energie und Ressourcen verbraucht werden. Es ist schwer quantifizierbar, wie sehr sich das auf die Umwelt auswirkt. Doch Unternehmen verfolgen selbstverständlich das Ziel, ihren Absatz durch Werbung zu steigern und stellen dieses Ziel nicht infrage. Die immensen Ausgaben für personalisierte Werbung legen nahe, dass durch Werbung der Konsum potenziell substantiell gesteigert wird. Ein Marketing-Mitarbeiter eines mittelgroßen Versandhandels bemerkt dazu: „[Durch Marketing] werden Bedürfnisse gestillt, von denen wir vor 20 Jahren gar nicht wussten, dass wir sie haben können. Also das spricht meines Erachtens eher dafür, dass durch Marketing Bedürfnisse geweckt werden.” Der Einsatz von KI zur Personalisierung von Werbeanzeigen dient dazu, die Interessen und Präferenzen von Nutzer*innen effektiv in Käufe umzuwandeln, indem bei ihnen solche neuen Bedürfnisse geweckt werden.

Es fehlt an Wissen bei Nutzer*innen und Unternehmen

Auf die Frage, ob sie wussten, dass in der Werbung im Internet KI zur Personalisierung eingesetzt wird, antworteten nur 55 Prozent der Befragten aus Privathaushalten mit „ja“. Nur 29 Prozent fühlen sich gut darüber informiert, wann welche Unternehmen welche Daten online von ihnen sammeln. Die Gefahren für Datenschutz und Privatsphäre werden sowohl unter Unternehmensvertreter*innen als auch in der Bevölkerung jeweils von über der Hälfte der Befragten anerkannt. Viele Privatpersonen und Unternehmen sind sich aber unsicher darüber, ob KI in der Online-Werbung auch ökologische Risiken oder Risiken für die Meinungsbildung und Demokratie mit sich bringen könnte (Abbildung 3).

Dieses mangelnde Wissen und die mangelnde Transparenz in der Marketingpraxis sind Gründe dafür, dass zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Akteure fordern, Datenschutz nicht auf individuelle Entscheidungen zu reduzieren, sondern ihn als gesetzlich geschütztes Grundrecht zu verfechten. Organisationen wie Digitalcourage, der Chaos Computer Club (CCC) oder Netzpolitik, aber auch Unternehmen wie Mozilla oder politische Akteure wie die EU-Kommission weisen schon seit Jahren auf die Intransparenz, Überwachung, Manipulation und Diskriminierung in der Werbebranche hin. „Das größte Risiko sind die Manipulationsmöglichkeiten. […] Je detaillierter jemand durchleuchtet […] wird, desto einfacher ist es, diese Person zu manipulieren oder ein bestimmtes Verhalten hervorzurufen“, erklärte die Vertreterin eines Vereins, der sich für digitalen Datenschutz einsetzt.

Viele zivilgesellschaftliche, wissenschaftliche und politische Expert*innen fordern daher die Kennzeichnung von Künstlicher Intelligenz in Werbekampagnen oder ein generelles Verbot der Nutzung personenbezogener Daten in der Online-Werbung. Personalisiertes Online-Marketing muss reguliert und die generelle Einschränkung von Werbung diskutiert werden, um gleichermaßen die demokratische Gesellschaft und die Umwelt zu schützen.

Vollständige Studie:

Frick, V., Marken, G., Schmelzle, F. & Meyer, A. (2023). The (Un-)Sustainability of Artificial Intelligence in Online Marketing. A Case Study on the Environmental, Social and Economic Impacts of Personalised Advertising. IÖW Schriftenreihe 228/2023. ISBN 978-3-940920-33-1.

GESA MARKEN UND VIVIAN FRICK

Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW)

Sie erforschen die Rolle der Digitalisierung in der sozial-ökologischen Transformation.

Lesedauer: ca. 11 Min.

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Introtext - Nachhaltige KI respektiert die planetaren Grenzen, verstärkt keine problematischen ökonomischen Dynamiken und gefährdet nicht den gesell­ schaftlichen Zusammenhalt. Im Projekt SustAIn haben wir auf dieser Grundlage 13 Kriterien definiert, die Organisationen berücksichtigen sollten, um KI nachhaltiger zu produzieren und einzusetzen.

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