Magazin #3 | Herbst 2023
Fangt einfach an zu messen
Wie KI sich auf die Umwelt auswirkt
Da immer mehr Ressourcen aufgewendet werden, Technologien Künstlicher Intelligenz zu entwickeln und anzuwenden, wird es auch immer wichtiger zu verstehen, welche Folgen diese Technologien auf die Umwelt und das Klima haben.
Die Infrastruktur, die ihnen zugrunde liegt, muss ökologisch nachhaltig sein und darf nicht dazu beitragen, dass die Belastungsgrenzen unseres Planeten noch weiter überschritten werden. Die Diskussion darüber, in welchem Verhältnis der Nutzen von KI-Systemen zu deren Umweltkosten steht, muss jedoch auf Fakten und Zahlen über den tatsächlichen Energie- und Ressourcenverbrauch beruhen – über den wir derzeit von den Entwicklern und Betreibern der Systeme nicht hinreichend informiert werden. Dieser Mangel an öffentlich zugänglichen Informationen erschwert es, über wirksame politische Maßnahmen nachzudenken und sie in die Wege zu leiten.
Die Europäische Union arbeitet derzeit die sogenannte KI-Verordnung (AI Act) aus. Das Gesetz könnte erstmals Unternehmen dazu verpflichten, die Auswirkungen bestimmter KI-Systeme auf die Umwelt zu messen und Informationen darüber zu veröffentlichen. Das Europäische Parlament hat vorgeschlagen, dass Unternehmen auch den Energie- und Ressourcenverbrauch von sogenannten Foundation Models und Hochrisiko-Systemen messen müssten. Das setzt voraus, dass in diesen Systemen Möglichkeiten zur Erhebung der relevanten Daten integriert sind.
Es ist oft zu hören, dass die Verpflichtung zum Messen der Umweltauswirkungen von KI-Systemen eine zu große Auflage sei und vor allem kleine und mittlere Unternehmen überfordere – und letztlich Innovationen im Weg stehe. Einfach anzuwendende Messmethoden existieren allerdings bereits. Mit ihnen könnten der Energieverbrauch, die Emissionen von CO2-Äquivalenten, der Wasserverbrauch, der Verbrauch von Mineralien für die Hardware oder die Produktion von Elektroschrott unkompliziert überwacht werden, um die Nachhaltigkeit der KI-Systeme zu bewerten.
Der Blick aufs Ganze
Ohne eine umfassende Lebenszyklus-Analyse können wir den ökologischen Fußabdruck von KI-Modellen nicht angemessen erfassen. Anbieter großer Sprachmodelle (Large Language Models, LLMs) geben gerne nur an, wie hoch der direkte Energieverbrauch und die Emissionen für einen Trainingszyklus sind. So bleibt das Bild allerdings völlig unvollständig. Nehmen wir zum Beispiel das Training des BLOOM-Modells. Durch den Energieverbrauch während der Trainingsphase wurden etwa 24,7 Tonnen CO2-Äquivalente emittiert. Wenn aber die Hardware-Produktion und die Betriebsenergie in die Rechnung einfließen, verdoppelt sich der Emissionswert bereits. Darin sind allerdings noch nicht die kontinuierlichen Emissionen während der Anwendung des Modells enthalten. Es fehlen verlässliche Zahlen aus dieser sogenannten Inferenzphase, aber erste Indizien weisen darauf hin, dass die Emissionswerte sehr hoch sind – sowohl bei der Herstellung der notwendigen Hardware für die Anwendung als auch bei ihrem Betrieb. Deshalb müssen wir über den gesamten Lebenszyklus hinweg messen, wie sich KI-Systeme auf das Klima auswirken – angefangen bei der Rohstoffgewinnung bis hin zur Entsorgung – um auf einer soliden Wissensbasis fundierte Entscheidungen treffen und gezielte Klimaschutzmaßnahmen ergreifen zu können (siehe dazu Abbildung 1).
Wir wissen zwar, dass der Betrieb von Rechenzentren und die Hardware-Produktion erheblich zu den weltweiten Kohlenstoffdioxid-Emissionen beitragen, doch es fehlen spezifische und aussagekräftige Daten darüber, welchen Anteil KI-Systeme daran haben. Das betrifft die Herstellung und Entsorgung ihrer Hardware sowie ihren Energieverbrauch samt allen daraus resultierenden Umweltschäden, also die CO2-Emissionen, die Umweltverschmutzung, den Ressourcen- und den Wasserverbrauch.
Die relevanten Daten aufzeichnen
Unternehmen können bereits jetzt einen Großteil der Daten, die zur Beurteilung der Nachhaltigkeit von KI-Systemen notwendig sind, automatisch aufzeichnen und melden, etwa die Betriebsdaten von Computersystemen, also wie häufig Berechnungen durchgeführt werden und wie lange diese Prozesse dauern. Wenn solche Metadaten in einer Tabelle gespeichert werden, können damit Effizienzmetriken erstellt werden. Kennzahlen wie die „Power Usage Effectiveness“ (PuE) zeigen beispielsweise, wie viel Energie ein Rechenzentrum für Berechnungen im Verhältnis zu seinem Gesamtenergiebedarf verbraucht. Durch diesen Parameter lässt sich die Energie-Effizienz von Rechenzentren vergleichen. Auf der Grundlage des ermittelten Stromverbrauchs, des Energiemixes des Rechenzentrums, der Kohlenstoffintensität des Energienetzes und der prozentualen CO2-Kompensation der Anbieter können wiederum die Emissionen errechnet werden.
Abbildung 1
Allein während der Systementwicklung und des Trainings sollten alle in der Tabelle aufgeführten Daten erfasst werden, um den Energieverbrauch der KI-Systeme umfassend bewerten und vergleichen zu können. Ähnliche Anforderungen können für alle anderen Umweltauswirkungen formuliert werden: die Emissionen, den Wasserverbrauch, den Abbau von Mineralien oder die Entsorgung der Hardware.
Detaillierte und standardisierte Dokumentationen sind notwendig
Der Lebenszyklus-Ansatz zeigt, dass verschiedene Akteursgruppen genaue Messungen bereitstellen müssen. Hardware-Hersteller wie Nvidia sollten beispielsweise Umweltdaten zu Produkten offenlegen, die häufig bei der Entwicklung und Anwendung von KI-Modellen zum Einsatz kommen.
Es gibt bereits eine Reihe von Messmethoden zur Bewertung der Umweltauswirkungen während der Systementwicklung und des Trainings, der Materialgewinnung, der Hardware-Herstellung und der Entsorgung, ebenso verschiedene Messinstrumente, um den CO2-Ausstoß zu ermitteln. Manche Hardware-Hersteller geben bereits für einige ihrer Produkte Emissionswerte an. Weitere Ansätze zur Bewertung der Umweltauswirkungen im Zuge der konkreten Nutzung eines Systems müssen noch entwickelt werden – zum Beispiel verlässliche Metriken und vergleichbare Maßeinheiten zur Bewertung der Emissionen während des Systemeinsatzes (siehe Abbildung 3).
Die Messung von Umweltauswirkungen während des Systemeinsatzes
Verfahren und Methoden zur Bewertung der Umweltauswirkungen während der Systemverwendung wurden noch nicht etabliert. Entwickler von KI-Systemen können deren Energieverbrauch während des Trainings erfassen. Die im Rahmen der KI-Verordnung diskutierten Vorgaben zur Dokumentation des Energieverbrauchs lassen sich jedoch höchstwahrscheinlich nicht unmittelbar auf die Inferenz übertragen.
Abbildung 2
Abbildung 3
Der Energieverbrauch im Laufe der Anwendungsphase und das Ausmaß der dabei erzeugten Emissionen müssen also geschätzt werden. Dazu schlagen wir zwei grundlegende Optionen vor, die auch kombiniert werden könnten:
- Vor der Markteinführung eines KI-Produkts werden auf der Grundlage von Testläufen oder vorzugsweise Simulationen verschiedene Standard- Einsatzszenarien (niedrige, mittlere, hohe Auslastung) bewertet.
- Nach der Markteinführung sollte der faktische durchschnittliche Energieverbrauch über einen bestimmten Zeitraum hinweg berechnet werden. Dadurch ließen sich die geschätzten Standard- Einsatzszenarien bewerten und anpassen, falls sie wesentlich vom tatsächlichen Wert abweichen.
Mehr Transparenz ist machbar – und längst überfällig
Es mangelt nicht an technischen Möglichkeiten, um die Umweltauswirkungen von KI-Systemen zu messen. Noch fehlt es am politischen Willen, KI nachhaltiger zu gestalten. Dies ist umso unverantwortlicher, als KI eine ressourcen- und energieintensive Technologie ist, die immer stärker in alle Lebensbereiche einfließt. Deswegen sind verlässliche Daten über die Umweltauswirkungen von KI-Systemen unerlässlich. Das Europäische Parlament hat einige wichtige Schritte in die richtige Richtung unternommen, damit KI die Umwelt, das Klima, die Menschen und den Planeten nicht noch mehr belastet. Aber sie gehen nicht weit genug. Grundsätzlich müssen klare und umfassende Vorgaben für öffentlich zugängliche Umweltdaten eingeführt werden. Dadurch könnten KI-Systeme ökologisch nachhaltiger werden, gleichzeitig aber auch deren Risiken, schädliche Folgen und Vorteile weltweit gerechter verteilt werden. Wenn die EU es ernst mit ihrem Vorhaben meint, den Einsatz von KI auf das Wohl der Menschheit auszurichten, dann sollte das für alle Menschen gelten – und nicht nur für Europäer*innen. In welcher Form auch immer die KI-Verordnung schließlich in Kraft treten wird: Menschen werden vor den negativen Folgen von KI-Systemen nur dann wirklich geschützt, wenn ihre Auswirkungen auf die Umwelt effektiv überwacht werden.
DR. ANNE MOLLEN
Post-Doc-Researcher an der Universität Münster und Senior Research Associate bei AlgorithmWatch
Sie forscht zur Nachhaltigkeit von Systemen des automatisierten Entscheidens (automated decision-making, ADM) und geht Fragen nach, die sich aus deren Einsatz für die globale Gerechtigkeit ergeben.
KILIAN VIETH-DITLMANN
Stellvertretender Leiter des Policy- und Advocacy-Teams bei AlgorithmWatch
Seine Arbeit konzentriert sich auf den staatlichen Einsatz von algorithmischen Entscheidungssystemen und auf die Nachhaltigkeit von KI-Technologien.