Magazin #1 | Sommer 2022
Eine ökologisch nachhaltige KI braucht Regulierung
Künstliche Intelligenz (KI) gilt als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Sie kann unzähligen konkreten Zwecken dienen: Übersetzungen, medizinischen Diagnosen oder personalisierten Produktempfehlungen. KI dürfte daher nach und nach in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft Einzug halten, nicht nur in Form neuer Produkte und Dienstleistungen, sondern auch durch die Verbesserung bestehender Leistungen, die damit „smarter“ werden. Eine steigende Durchdringung der Gesellschaft mit KI-basierten Lösungen bedeutet allerdings auch, dass der globale Energieverbrauch steigt. Dieser entsteht nicht nur durch den Betrieb von Endgeräten wie Smartphones. Ein wesentlicher Teil des Energieverbrauchs von KI-Anwendungen findet extern durch Datentransfers und Rechenzentren statt. Zwar nimmt auch die Energieeffizienz der Rechenzentren stetig zu. Bleibt dieser Sektor aber weiterhin weitgehend unreguliert, kann ein Rebound-Effekt eintreten, d. h. dass die mit den Energieeinsparungen verbunden Kosteneinsparungen zum Beispiel zu einer intensiveren Nutzung und dadurch wiederum zu einem weiteren Anstieg des absoluten Energieverbrauchs führen. Die EU-Kommission schätzt, dass der Energieverbrauch von Datenzentren in der EU von 77 Terrawattstunden (2,7 Prozent des Gesamtstromverbrauchs) im Jahr 2018 auf 99 Terrawattstunden (3,2 Prozent des Gesamtstromverbrauchs) im Jahr 2030 steigen wird. Kurzum: Mehr und mehr Datentransfers und Datenverarbeitung bedeuten auch mehr Energieverbrauch.
Es ist somit eine wichtige Frage, wie sich KI-Lösungen möglichst energieeffizient entwickeln, steuern und nutzen lassen. Ein möglicher Ansatz ist, die Konsument*innen über den ökologischen Fußabdruck von KI aufzuklären. Insbesondere Zertifikate und Labels, wie sie die Europäische Union für „Green IT“ vorsieht, könnten den Konsument*innen helfen, umweltfreundlichere Optionen zu erkennen und dann auch auszuwählen. Denkbar ist auch, für die Entwicklung und den Verkauf von KI-Lösungen und -Hardware sogenannte „Carbon Impact Assessments“ vorzuschreiben. Wenn der ökologische Fußabdruck von KI-Anwendungen auf diesem Wege beziffert und öffentlich gemacht wird, könnte er auch das Konsumverhalten beeinflussen.
Allerdings ist zweifelhaft, wie wirksam Informationen alleine sind. Nicht nur entsteht damit ein weiterer Bereich, in dem sich Verbraucher*innen informieren müssen, um aufgeklärt zu entscheiden. Auch ist aus anderen Bereichen bekannt, dass selbst die Kombination aus ausreichendem Wissen und einer umweltfreundlichen Einstellung nicht unbedingt zu einem veränderten Verhalten führt. Außerdem dürften sich energieeffizientere Anwendungen kaum durchsetzen, wenn sie zugleich teurer oder weniger leistungsfähig sind, wie die Ergebnisse der von uns durchgeführten Studie „Consumers are willing to pay a price for explainable, but not for green AI. Evidence from a choice-based conjoint analysis“ nahelegen. Vor allem bei kostenlosen Apps dürften Aufpreise für höhere Energieeffizienzstandards wenig Akzeptanz finden. Umweltfreundliche KI dürfte sich daher kaum auf der Basis von Informationen und Labels alleine am Markt etablieren. Politisches Handeln und staatliche Regulierung müssen vielmehr zusätzlich an Stellen ansetzen, die den Konsumentscheidungen vorgelagert sind – wie es die nachfolgende Grafik verdeutlicht.
Finanzielle Instrumente können bereits bei der Vermarktung von Produkten ansetzen und Angebot und Nachfrage über den Preis steuern. Eine relativ einfache und schnell umsetzbare Lösung wäre etwa, sowohl die Produzenten von KI-Anwendungen und -Produkten als auch Rechenzentren in das schon existierende CO2-Emissionshandelssystem einzubeziehen. Dies hätte stärkere Anreize zur Folge, möglichst energiesparsame Anwendungen und Infrastrukturen für Information zu entwickeln und zu nutzen. Eine Verteuerung der extern verbrauchten Energie und der dabei entstehenden Emissionen von KI-Anwendungen würde Unternehmen dazu antreiben, bereits bei der Entwicklung ökologische Nachhaltigkeit zu berücksichtigen („Green AI“), statt nur auf die Leistungsfähigkeit zu schauen („Red AI“). Solche Maßnahmen können einen wichtigen Unterschied ausmachen. Ein OECD-Bericht zeigt, dass verschiedene technische Entscheidungen – etwa die Wahl der verwendeten Modelle, der Hardware und der Rechenzentren, inklusive ihrer Standorte – zu enormen Energieeinsparungen führen.
Schließlich kann Regulierung aber auch direkt bei der Entwicklung von KI-Anwendungen ansetzen. Dies könnte beispielsweise durch den Top-Runner-Ansatz geschehen, wie er in Japan eingesetzt wird: Alle Anbieter müssen jeweils innerhalb einer vorgegebenen Zeitspanne – etwa innerhalb eines Jahres – den vom führenden Anbieter erreichten höchsten Energieeffizienz-Standard einholen. Andernfalls riskieren sie – etwa infolge eines staatlichen Verbots – dass sie ihr Produkt nicht mehr am Markt anbieten dürfen. Solch eine harte Regulierung setzt neue Standards, indem sie sie dynamisch an den Marktwettbewerb und den jeweiligen Stand der Technik knüpft.
Der Einsatz all dieser Instrumente baut im Idealfall aufeinander auf und wird von einer kontinuierlichen Datenerhebung und Evaluation begleitet. Hierbei sollte ein handlungsfähiger Staat nicht alleine den Berichten und Informationen von Unternehmen vertrauen müssen. Er muss auch Kapazitäten aufbauen, um Unternehmen effektiv kontrollieren sowie als letztverantwortliche Instanz im Zweifel regulatorisch eingreifen zu können.
DR. MARKUS B. SIEWERT
Geschäftsführer TUM Think Tank an der Hochschule München
Als Politikwissenschaftler interessiert er sich für sozio-politische Herausforderungen der digitalen Transformation, für Künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit sowie für die gesellschaftliche Governance dieser Themen.
DR. PASCAL D. KÖNIG
Politikwissenschaftler an der TU Kaiserslautern
… ist zurzeit Gastforscher am Minda de Gunzburg Center for European Studies der Harvard University. Sein wissenschaftliches Interesse gilt den Folgen der Datafizierung von Gesellschaften, der Steuerung durch Algorithmen (insbesondere ethischen und regulatorische Aspekten) sowie der Frage, wie politische Akteur*innen mit den Herausforderungen des digitalen Wandels umgehen.
PROF. DR. STEFAN WURSTER
Professor für Policy Analysis an der TU München
Er befasst sich in seiner Forschung mit Policy-Vergleichen von Politikfeldern mit starkem Nachhaltigkeitsbezug, wie der Bildungs-, Forschungs-, Innovations-, Umwelt- und Energiepolitik. Seine Forschungsschwerpunkte sind unterschiedliche Instrumente politischer Steuerung sowie der Vergleich von Demokratie und Autokratie.