Magazin #1 | Sommer 2022
Ein gefährliches Ausblenden von Umweltrisiken: Die KI-Verordnung der EU
Die EU hat die Notwendigkeit erkannt, die mit KI verbundenen Risiken auf politischer Ebene anzugehen. Doch wenn es um den Ressourcenverbrauch und die Umweltauswirkungen der Technologie geht, ist die KI-Verordnung auf beiden Augen blind.
Im April 2021 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren Entwurf zur KI-Verordnung (engl: Artificial Intelligence Act, AI Act). Sie reagierte damit auf die immer dringlichere Notwendigkeit, Künstliche Intelligenz zu regulieren. Das Ziel der Verordnung ist es, auf die fundamentalen Risiken einzugehen, die beim Einsatz von KI für die Gesellschaft und die in ihr lebenden Menschen bestehen. Allerdings enttäuscht der Entwurf, was die Risiken für die Umwelt angeht. Dies wiegt umso schwerer, als die Kommission in ihrem der KI-Verordnung vorausgegangenen Weißbuch hervorgehoben hatte, dass KI-Entwicklung umweltfreundlich stattfinden müsse.
Die KI-Verordnung schlägt eine Regulierung vor, die in der EU Regeln zum Schutz der Sicherheit, Gesundheit und Grundrechte beim Einsatz von KI vereinheitlichen soll. Gleichzeitig sollen Innovationen auf dem Gebiet gefördert werden. Dazu verfolgt die KI-Verordnung einen risikobasierten Ansatz. Sie schlägt unterschiedliche Regeln für KI-Systeme je nach ihrer Risikoeinstufung vor. Dabei berücksichtigt sie jedoch in keiner Weise die Umweltrisiken, die sich aus der Entwicklung, Inbetriebnahme und dem Einsatz von KI-Systemen ergeben.
”In Art. 37 ist ausdrücklich festgelegt, dass die Europäische Union den Schutz der Umwelt bei ihrer Politikgestaltung berücksichtigen muss.
Daher sind wir der Meinung: Wenn die KI-Verordnung unsere Sicherheit, Gesundheit und Grundrechte schützen soll, würde die Europäische Union fahrlässig handeln, wenn sie den Umweltschutz vernachlässigt. Die europäischen Institutionen müssen sich darüber im Klaren sein, welche Umweltrisiken KI mit sich bringt, denn die Beweislage ist erdrückend. Der Ressourcenverbrauch der Systeme ist teils extrem hoch, ebenso der Ressourcenverbrauch der für ihren Betrieb notwendigen Infrastruktur. In ihrem Regulierungsvorschlag wird die Kommission daher nicht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gerecht, die in Art. 37 ausdrücklich festlegt, dass die Europäische Union den Schutz der Umwelt bei ihrer Politikgestaltung berücksichtigen muss.
Im Licht des vielversprechenden Weißbuchs erscheint der Entwurf zur KI-Verordnung wie eine verpasste Gelegenheit. Dort wurde hervorgehoben, dass die Folgen, die der Einsatz von KI-Systemen auf die Umwelt hat, entlang der gesamten Lieferkette und über den gesamten Lebenszyklus hinweg gebührend berücksichtigt werden müssen – etwa in Bezug auf den Ressourcenverbrauch, der für das Trainieren der Algorithmen oder das Speichern von Daten notwendig ist. Im gegenwärtigen Entwurf zur KI-Verordnung sind keine verpflichtende Umweltauflagen für Hersteller und/oder Anwender zu finden. In der jetzigen Fassung dürfen Hersteller Verhaltenskodizes mit freiwilligen Selbstverpflichtungen formulieren und anwenden, unter anderem hinsichtlich Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Aber freiwillige Selbstverpflichtungen können kaum als angemessene Reaktion auf eine zunehmend allgegenwärtige und ressourcenaufwendige Technologie wie KI angesehen werden.
Daher verpasst die KI-Verordnung bisher leider eine entscheidende Chance, die Entwicklung und den Einsatz von KI-Systemen nachhaltig, ressourcenschonend und unter Beachtung der planetaren Grenzen zu gestalten. Dies ist aber eine notwendige Maßnahme im kollektiven Kampf gegen die Klimakrise. Daneben widerspricht der Ansatz der Kommission den Zielsetzungen des europäischen Green New Deal und ähnlicher Initiativen der EU. Die europäischen Institutionen verhandeln nach wie vor über die KI-Verordnung. Noch können sie angemessen auf eines der größten Risiken von KI-Technologien reagieren. Ein erster notwendiger Schritt wäre, die enormen Umweltrisiken von KI anzuerkennen. Die KI-Verordnung sollte sie zu einem relevanten Kriterium in der Risikoeinstufung von KI-Systemen machen. Darüber hinaus sollten Organisationen, die KI-Systeme entwickeln und implementieren, ihren KI-bezogenen Ressourcenverbrauch überwachen und die entsprechenden Daten der Öffentlichkeit zugänglich machen. Sie sollten außerdem dazu verpflichtet werden, wirksame Schritte zu einer umweltfreundlicheren KI-Entwicklung einzuleiten.
Wir brauchen mehr Erkenntnisse über den tatsächlichen Ressourcenverbrauch von KI, um zu einer stärker auf belastbaren Daten basierten Regulierung von KI-Technologien zu kommen. Die KI-Verordnung bietet hier eine Chance, die nicht verpasst werden sollte. Es liegt nun am Europäischen Parlament und an den EU- Mitgliedsstaaten, die unzureichende Risikobewertung der Kommission wieder rückgängig zu machen.
NIKOLETT ASZÓDI
Policy & Advocacy Managerin bei AlgorithmWatch
Der Fokus in ihrer Arbeit liegt auf dem Einsatz von Systemen des automatisierten Entscheidens (ADM) im öffentlichen Sektor sowie auf horizontalen Regulierungen der EU im Bereich ADM – insbesondere die KI-Verordnung der EU (AI Act).