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#2Fallstudie

Don‘t believe the hype: Was KI bei der Energieversorgung wirklich bringt

Magazin #2 | Sommer 2023

Don‘t believe the hype: Was KI bei der Energie­versorgung wirklich bringt

Hilft KI Ressourcen einzusparen oder trägt sie zu mehr Ressourcen­verbrauch bei? Diese Frage lässt sich nicht allgemein beantworten, sondern muss von Fall zu Fall untersucht werden. Gerade im Energie­bereich wird KI aktuell ein Vertrauensvorschuss gewährt. Andreas Meyer vom DAI Labor der TU Berlin hat mit Computersimulationen am Beispiel eines Quartierprojekts analysiert, wann KI zu einer Einsparung von CO2-Emissionen beitragen kann und wann nicht.

Das WindNODE-Projekt in Berlin

Über 70 Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Industrie haben sich in dem Verbundprojekt WindNODE zusammengeschlossen, um gemeinsam die Energiewende voranzutreiben. Auch das DAI Labor der TU Berlin und ein Quartier im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg sind eingebunden. Der Quartierskomplex umfasst sechs Gebäude mit insgesamt 224 Wohnungen, die über ein Blockheizkraftwerk (BHKW) vor Ort mit Wärme versorgt werden. Zum Quartierskonzept gehört ein intelligentes Energie-Manage­mentsystem, durch das die Möglichkeit besteht, flexibel auf vorhandene Angebote an erneuerbaren Energien zuzugreifen.

Welchen Beitrag kann KI leisten?

KI-Anwendungen können zwar genutzt werden, um lokal erzeugte erneuerbare Energien effizienter einzusetzen und dadurch Ressourcen einzusparen. Allerdings verbrauchen die KI-Anwendungen selbst ebenfalls Ressourcen. Um mit ihnen effektiv Ressourcen zu schonen, dürfen also KI-Systeme nicht mehr von ihnen verbrauchen als durch sie eingespart werden. KI-Systeme helfen vor allem dabei, Prognosen darüber zu erstellen, wie hoch der Energiebedarf im Quartier zu einer bestimmten Zeit sein wird und wann wie viel Energie über Photovoltaik-Anlagen produziert werden kann. Die Abbildung auf Seite 22 zeigt das Modell des Wohnquartiers, das als Grundlage für die Simulationsstudie diente. Durch die von der KI erstellten Prognosen können das Energie-Speichersystem (ESS) und der Warmwasserspeicher im Quartier optimal genutzt werden.

Was wird simuliert?

Solche Prognosesysteme können eine niedrige Komplexität aufweisen, wenn zum Beispiel statistische Verfahren angewandt werden. Wenn sie auf Deep-Learning-Ansätzen beruhen, sind sie hochkomplex, wenn es traditionelle Ansätze des Maschinellen Lernens sind, liegt die Komplexität im mittleren Bereich. Je größer die Komplexität des Prognosemodells ist, desto größer ist auch der Energieverbrauch, wenn das Modell entwickelt, trainiert und eingesetzt wird. Computersimulationen können darüber Aufschluss geben, ob sich der höhere Ressourcenbedarf von komplexeren KI-Systemen dadurch rentiert, dass mehr erneuerbare Energie effizient genutzt werden kann.

Ergebnisse der Simulationsstudien

Das Beispiel des Berliner Quartiers verdeutlicht, dass KI-Systeme nicht immer die Erwartungen erfüllen. Die im SustAIn-Projekt durchgeführten Studien haben gezeigt, dass der Ressourcenverbrauch von KI-Modellen zur Optimierung der Einspeisung von erneuerbaren Energien in dem Quartier nicht sonderlich hoch ist. Gleichzeitig waren aber auch die durch sie gewonnenen Einsparungen relativ gering. Das größte Einsparpotenzial kam durch die Infrastruktur zustande, vor allem durch die Energie-Speicher­systeme, mit denen lokal erzeugte Energie ­flexibler genutzt werden kann.

Wie viel Energie benötigen unterschiedliche KI-Systeme?

Die Simulationen wurden für drei unterschiedlich komplexe KI-Systeme durchgeführt, mit denen der Anteil an erneuerbaren Energien bei der Stromversorgung des Wohnquartiers im Prenzlauer Berg erhöht werden sollte. Wie die Tabelle zeigt, hat das Modell XGB (XGBoost – Extreme Gradient Boosting) den geringsten Stromverbrauch. Es beruht auf traditionellen Methoden Maschinellen Lernens und verbraucht in der Entwicklung, im Training und in der Anwendung (Inferenz) insgesamt nur 0,39 kWh. Damit ist sein Verbrauch sogar geringer als der des weniger komplexen statistischen Modell SARIMA (Seasonal AutoRegressive Integrated Moving Average). Den größten Stromverbrauch haben, wie erwartet, die beiden Deep-Learning-Modelle KNN (Künstliches Neuronales Netz) und LSTM (Long Short Term Memory).

Digitalisierungs­szenarien: Mehr erneuerbare Energie durch KI?

Steigern KI-Anwendungen den Anteil an erneuerbaren Energien bei der Stromversorgung des Quartiers? Im Rahmen der Fallstudie wurde auf der Grundlage von Energie-Verbrauchsdaten aus dem Quartier der Zeitraum Oktober bis Dezember simuliert. Drei unterschiedliche Digitalisierungsszenarien wurden ­modelliert:

Szenario 1: Niedriger Digitalisierungsgrad (ND)

Als Basis-Szenario dient ein Quartiers­energie-Management mit niedrigem Digitalisierungsgrad. Überschüssige Wärme aus einem Blockheizkraftwerk wird durch einen Warmwasser­speicher aufgenommen. Um Bedarfsspitzen zu decken, steht ein Boiler zur Verfügung. Die Energie für das Quartier wird über eine Photovoltaik-Anlage erzeugt. Außerdem wird untersucht, wie sich die Installation eines ­zusätzlichen Energie-Speichersystems auf den Energie-Eigenverbrauch auswirkt.

Szenario 2: Mittlerer Digitalisierungsgrad (MD)

Aufbauend auf Szenario 1 fließen Daten über das Heizverhalten der Anwohner*innen ein. Mit diesen Informationen soll eine optimierte Regelstrategie zur Bereitstellung von Energie und Wärme entwickelt werden.

Szenario 3: Hoher Digitalisierungsgrad (HD)

Hier werden die Prognosen der verschiedenen KI-Systeme herangezogen, um das Energiemanagement zu optimieren.

Die Ergebnisse zeigen: Den größten Unterschied macht nicht der Einsatz von KI aus, sondern ein Energiespeicher in einem niedrigen Digitalisierungsszenario. So kann der Anteil an erneuerbaren Energien bei der Stromversorgung des Quartiers von 45 Prozent auf 58 Prozent erhöht werden. Der Einsatz von KI-Modellen bringt nur weitere vier Prozent Steigerung auf einen Anteil von 62 Prozent. In Monaten mit mehr Sonnenstunden dürfte dieser Anteil etwas höher liegen.

KI allein reicht nicht

Im Fall des Berliner Quartiers waren komplexe KI-Modelle am besten darin, Prognosen über den Energieverbrauch und die mögliche Photovoltaik-Stromerzeugung zu treffen. Die für die Simulation verwendeten Modelle sind zwar allesamt sehr sparsam, aber ihr Nutzen hält sich in Grenzen. KI-Anwendungen können also den Energiesektor nachhaltiger machen, indem sie erneuerbare Energie effektiv integrieren und verteilen. Sie entfalten ihr Potenzial aber nur innerhalb einer modernen und intelligenten Netzinfrastruktur. Außerdem müssen ausreichend Quellen für lokal erzeugte erneuerbare Energie vorhanden sein und es werden Speichertechnologien benötigt, um sie flexibel einzubinden. KI allein ist also nicht die Lösung.

ANDREAS MEYER

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Distributed Artificial Intelligence Labor der TU Berlin

Andreas Meyer forscht unter anderem an Anwendungen von Machine-Learning-Verfahren zur Lastprognose und Nachhaltigkeit von KI-Systemen.