Magazin #3 | Herbst 2023
Die Energie fressenden Gebote unserer Konsumkultur
Was für das Internet insgesamt gilt, gilt auch für digitale Werbeanzeigen: Der CO2-Ausstoß nimmt durch sie zu. Aktuell sind knapp zwei Milliarden Websites online und die Zahl der auf ihnen geschalteten Anzeigen schnellt in die Höhe.
Der CO2-Abdruck der digitalen Welt könnte sogar noch größer sein als der der Luftfahrtindustrie. Dennoch wissen 60 Prozent aller Konsument*innen nicht, dass digitale Anzeigen und das Surfen im Internet Emissionen verursachen, wie in einer aktuellen Studie zu lesen ist.
Das Tracking-basierte Ökosystem für Online-Werbung verschlimmert die Klimakrise in dreierlei Hinsicht:
Erstens beruhen die technischen Prozesse, mit denen Daten gesammelt und im Anschluss Profile von Nutzer*innen erstellt werden, in immer größerem Ausmaß auf komplexen Systemen Maschinellen Lernens, wodurch zusätzliche CO2-Emissionen freigesetzt werden. Das Internet hat global einen Anteil von vier Prozent an diesen Emissionen, digitale Werbeanzeigen tragen erheblich dazu bei. Von den durch digitale Dienste hervorgerufenen Emissionen wird erwartet, dass sie sich bis 2025 verdoppeln werden.
Zweitens dienen Werbeanzeigen dazu, uns zum Kauf von Dingen zu animieren, die wir nicht unbedingt brauchen. Purpose Disruptors – ein Netzwerk von Marketing-Experten, die sich für ein größeres Umweltbewusstsein in der Branche einsetzen – hat jüngst eine Studie veröffentlicht, in der geschätzt wird, dass personalisierte Anzeigen 2022 im Vereinten Königreich durch einen größeren Konsum für einen Anstieg der Pro-Kopf-Emissionen von 32 Prozent gesorgt haben.
Drittens ist Tracking-basierte Werbung ein Mittel, um die Gesellschaft zu spalten. Dieselben Algorithmen, die zu Werbezwecken Nutzungsprofile erstellen, eignen sich auch als Tools dafür, in sich abgeschlossene Parallelrealitäten und Desinformationen über die Klimakrise zu verbreiten. Dadurch schaffen sie Bedingungen, unter denen die gesamte Demokratie gefährdet ist und eine faire und ambitionierte Klimapolitik in weite Ferne rückt. Da bereits in anderen Publikationen ausgiebig über diesen Aspekt berichtet wurde, werde ich mich hier auf den CO2-Ausstoß konzentrieren, den Werbetechniken indirekt verursachen, indem sie zum Konsum anregen.
Energie verschwendende Auktionen
Eine einzige digitale Werbeanzeige verbraucht relativ wenig Energie, aber durch die Anzahl solcher Anzeigen ist die globale Wirkung sehr groß. Ryan Cochrane, der Geschäftsführer der global operierenden AdTech-Plattform Good-Loop, schätzt, dass die Anzahl der Gebote im Werbe-Ökosystem die täglich acht Billionen Transaktionen an der New Yorker Börse um das 2.000-fache übersteigen. Einer Hochrechnung des Irish Council of Civil Liberties zufolge werden bei den Echtzeit-Auktionen der Werbebranche jährlich 178 Billionen Anzeigen in den USA und Europa platziert.
Neue Daten zeigen, dass der Energiebedarf für eine einzige Ad Impression, also den Aufruf einer Anzeige auf einem Server, ungefähr einem Gramm CO2-Emission entspricht. Dieser Wert beinhaltet den Energieverbrauch auf den einzelnen Geräten von Endnutzer*innen sowie den Energieverbrauch durch die Daten- und den Anzeigenserver. Darin sind Aktivitäten wie das Sammeln, Verarbeiten, Speichern und Verwalten von Daten sowie das Erstellen von detaillierten Nutzungsprofilen enthalten. Hinzu kommt, dass viele der komplexen Algorithmen des Maschinellen Lernens, die Rohdaten so verarbeiten, dass sie für die Anzeigenvergabe verwertbar und wertvoll werden, extrem viel Strom verbrauchen. In einer aktuellen Studie von Global Action Plan heißt es, dass in etwa ein Prozent des gesamten globalen Energieverbrauchs von Online-Werbung verursacht wird.
Der größte Teil davon ist reine Verschwendung. Der ganze Energieverbrauch hat nämlich nicht unbedingt zur Folge, dass irgendwo auch nur eine einzige Anzeige platziert wird. Das liegt an dem zugrunde liegenden Auktionssystem. Für jede der Billionen Anzeigen, die täglich geschaltet werden, gibt es etliche Gebote für die einzelnen Platzierungen – manchmal gehen sie in die Tausende. Durch die Geschäftslogik hinter diesem System wird sichergestellt, dass für jede Platzierung der höchste Preis gezahlt wird. Der Preis dafür wiederum ist, dass die vom AdTech-Ökosystem verursachten Emissionen explodieren.
Außerdem laufen viele Online-Anzeigen auf Betrugsversuche hinaus. Dieses Problem geht so weit, dass der globale Werbetreibenden-Verband World Federation of Advertisers das jährliche Wertvolumen von betrügerischen Anzeigen auf bald über 50 Milliarden US-Dollar schätzt. Sie sind nach dem Drogenhandel sogar die zweitgrößte Einnahmequelle des organisierten Verbrechens. Die AdTech-Industrie selbst beziffert den Wert von betrügerischen Anzeigen auf etwa vier Prozent des gesamten Branchenwerts, während die unabhängige Forschung ihn bei über 25 Prozent ansetzt. In Anbetracht der schieren Anzahl an täglich geschalteten Online-Anzeigen ist das ein gewaltiges Ausmaß – unabhängig davon, welche dieser Schätzungen zutrifft.
Kauft!
Die Werbeindustrie generiert jährlich Hunderte von Milliarden an Umsätzen, was, es sei nochmals gesagt, sich sehr nachteilig auf den CO2-Fußabdruck der Konsument*innen auswirkt, da sie zum Kaufen animiert werden. Das New Weather Institute kam zu dem Schluss, dass die Werbeindustrie indirekt eine Ursache für die Umweltzerstörung und die Klimakrise sei, da sie materialistische Werte verbreite und zu materialistischem Handeln auffordere, wie stichhaltige empirische Beweise nahelägen. Alle, die in der Werbung arbeiten, sollten sich der unbequemen Wahrheit stellen, dass sie „umso mehr Schaden anrichten, je besser sie in ihrem Job sind“.
Zum Glück gibt es schon eine Alternative: Um die schädlichen Auswirkungen auf das Klima zu reduzieren, die AdTech mitverantwortet, müssen wir auf Kontext-Targeting umsteigen. Solche semantischen Targeting-Systeme greifen auf den Kontext der Inhalte auf einer Webseite zurück, um darauf nur kontextuell sinnvolle Werbung anzuzeigen. Sie werden also nicht allen Nutzer*innen einer Website angezeigt, sondern nur den Besucher*innen einer bestimmten Webseite. Allein dadurch wird bereits die Anzahl der notwendigen Datenverarbeitungsprozesse deutlich reduziert – und daraus folgend auch der damit verbundene Energieverbrauch. Durch Kontext-Targeting wird nicht nur das Sammeln von Massen an persönlichen Daten hinfällig, um damit Nutzungsprofile zu erstellen. Außerdem geht dadurch die Anzahl der Ad Impressions für die einzelnen Gebote im Online-Auktionssystem zurück, was sich ebenso vorteilhaft auf den Energieverbrauch auswirkt.
Wir können nicht ernsthaft erwarten, dass die Werbeindustrie freiwillig von einem System abrückt, das sich für sie als wahre Gelddruckmaschine erwiesen hat. Deshalb müssen wir unbedingt Entscheidungsträger*innen davon überzeugen, Anzeigen-Targeting zu verbieten, das auf dem Sammeln persönlicher Daten beruht – so wie der Digital Services Act der Europäischen Union auf Kinder ausgerichtetes Targeting verboten hat. Nur so kann der klimaschädliche Einfluss von AdTech deutlich eingedämmt werden.
DUNCAN MCCANN
Leiter der Abteilung „Accountability“ bei 5Rights, einer international tätigen NGO, die sich für die digitalen Rechte von Kindern und Jugendlichen einsetzt
Zuvor leitete er das Programm für digitale Wirtschaft bei der New Economics Foundation. Er hat eine juristische Ausbildung und war über zehn Jahre lang bei Cisco Systems in der Technologiebranche tätig.